CRISPR gegen COVID-19
Seit fast einem halben Jahr ist das öffentliche Leben durch das grassierende Coronavirus SARS-CoV-2 geprägt. Mit der einsetzenden Normalisierung des Alltags geht jedoch spürbar die Gefahr steigender Infektionszahlen einher. Dass in diesem Sommer ein wenig Normalität einkehren konnte, ist unter anderem der schnellen Diagnostik zu verdanken. „Testen, testen, testen!“ Das neue Mantra dokumentiert die Bedeutung eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen COVID-19, diagnostische Virusnachweise. Doch der weltweite Bedarf an Testreagenzien, Geräten und Zubehör hat auch die Grenzen der etablierten Virusdiagnostik offenbart. Es gab Lieferengpässe für Enzyme und RNA-Extraktionsreagenzien. Aber auch einfaches Zubehör wie sterile Abstrichtupfer waren zeitweise schwer zu beschaffen. Diese Grenzen und die Verschiebung des Anforderungsprofils an die Diagnostik bieten große Chancen für alternative Ansätze und Ideen.
In den Jahren 2012/2013 wurde das CRISPR/Cas9-System durch Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna biochemisch genau charakterisiert und erstmalig als Genom-Editierungswerkzeug verwendet (Feng Zhang). Diese Entdeckungen setzten eine rasante „molekularbiologische Revolution“ in Gang. Seitdem wurde die CRISPR-Toolbox stetig optimiert und erweitert. Im Kontext der COVID-19-Pandemie sorgt eine weitgehend unbekannte Verwendung des CRIPSR/Cas-Systems zunehmend für Aufsehen. Eine häufig übersehene Eigenschaft bestimmter Cas-Proteine ist deren Nutzbarkeit für diagnostische Zwecke. Einige CRISPR/Cas-Komplexe zeichnen sich dadurch aus, spezifische DNA- oder RNA-Sequenzen zu erkennen und dabei eine massive Signalverstärkung zu generieren. Das macht sie zu interessanten Werkzeugen der Molekulardiagnostik.
SHERLOCK und DETECTR
Im Jahr 2017 wurde erstmals durch die Gruppe um Feng Zhang die Nutzung von CRISPR/Cas-Komponenten in einem diagnostischen Kontext beschrieben. Specific High-sensitivity Enzymatic Reporter un-LOCKing, kurz SHERLOCK, kombiniert isothermale Amplifikationsmethoden mit der programmierbaren „Sensing“-Eigenschaft der Cas13a-Nuklease. Erkennt ein Komplex aus CRISPR-RNA (crRNA) und Cas13a eine Zielsequenz, wird eine kollaterale Nukleaseaktivität des Cas13a-Proteins induziert. Dieses degradiert fortan unspezifisch einzelsträngige RNA. Der Mechanismus bildet die Grundlage für CRISPR/Cas-assoziierte Nachweisstrategien (Abb. 1 oben).
Doudnas Arbeitsgruppe berichtete 2018 von der Entwicklung einer ähnlichen Nachweismethodik, bei der das Protein Cas12a zum Einsatz kommt. Es erkennt, im Gegensatz zu Cas13a, DNA anstelle von RNA und richtet die kollaterale Nukleaseaktivität gegen einzelsträngige DNA. Die damit entwickelte Nachweistechnik nennt sich DETECTR (DNA Endonuclease Targeted CRISPR Trans Reporter).
CRISPR/Cas-basierte Nachweismethoden können auf verschiedenen Wegen ausgewertet werden, so mittels „Reportern“. Die kurzen, synthetisch hergestellten, einzelsträngigen RNA- oder DNA-Moleküle mit terminalen Modifikationen sind die Grundlage für verschiedene Auswertungsmöglichkeiten. Bei Einsetzen der kollateralen Nukleaseaktivität des Cas-Proteins werden diese Reportermoleküle geschnitten, was zu einer Separierung der endständigen Label führt. Dieses Prinzip erlaubt Automatisierung und Hochdurchsatz über eine Fluoreszenz-basierte Auswertung, analog zu bestehenden qPCR-Systemen. Besonders interessant ist die Nutzung dieses Prinzips für eine Auswertung via Lateral-Flow-Streifen, die man vom Schwangerschaftstest her kennt. Schnell, einfach anzuwenden und ohne technische Instrumente kann so ein SHERLOCK- oder DETECTR-Test ausgewertet werden. (Abb. 1 unten)
„Point-of-Need“-Test
Die CRISPR/Cas-basierte Diagnostik zeichnet sich durch eine hervorragende Spezifität und Nachweisempfindlichkeit aus, was das System insbesondere für die Virusdiagnostik interessant macht. Im attomolaren Bereich sind bedeutende humanpathogene Viren in weniger als einer Stunde nachweisbar, darunter Dengue, Zika, HPV und auch SARS-CoV-2. Es wurde gezeigt, dass durch einfache Hitzebehandlung klinische Proben (Urin, Speichel, Plasma, Serum und Vollblut) ohne Nukleinsäureextraktion für die Analyse genutzt werden können.
Die Übertragung einer Nachweismethode in das Lateral-Flow-Format ist geeignet, die Nachweistechnik von Analyselabors zu entkoppeln und vor Ort, zum Beispiel an Flughäfen, durchführen zu können. Dadurch können diagnostische Tests potentiell genau dort eingesetzt werden, wo man sie benötigt. Man spricht von einer Point-of-Need- oder Point-of-Care-Tauglichkeit. Das Überführen komplexer molekularbiologischer Nachweistechniken in das extrem einfach anzuwendende Testformat der Lateral-Flow-Immunoassays eröffnet große Chancen für die mobile Diagnostik.
CRISPR-Start-ups gegründet
Gerade im Ursprungsland der Methode, den USA, sprießen derzeit Start-ups aus dem Boden, die versuchen, CRISPR/Cas-assoziierte Diagnostik für COVID-19 in „Warp-Geschwindigkeit“ verfügbar zu machen. SHERLOCK Biosciences (Boston, Zhang-Gruppe), Mammoth Biosciences (San Francisco, Doudna-Gruppe) und CASPR Biotech (Argentinien und USA) liefern sich derzeit ein Wettrennen um die „Vormachtstellung“ in der CRISPR/Cas-Diagnostik. Die ersten beiden haben bereits Notfallzulassungen für ihre SARS-CoV-2-Tests erhalten (Abb. 2) CASPR Biotech arbeitet am ersten lyophilisierten „CRISPR-Nachweiscocktail“. Die CRISPR/ Cas-Toolbox für diagnostische Anwendungen wird in beeindruckendem Tempo erweitert. Neben Cas12, Cas13 und Cas14 wird inzwischen auch Cas9 erfolgreich genutzt. Indische Wissenschaftler des Institute of Genomics and Integrative Biology in Delhi entwickeln in Kooperation mit TATA Sons einen COVID-19-Point-of-Care-Test. Die Lateral-Flow-basierte Entwicklungsplattform liefert übrigens eine deutsche Firma aus Gießen. In allen relevanten Publikationen wird der durch die Milenia Biotec GmbH produzierte Universalteststreifen „HybriDetect“ verwendet. In zwei bis fünf Minuten steht das Ergebnis der Analyse fest. Der Streifen wurde bis Anfang August in mehr als 130 begutachteten Publikationen für diverse Anwendungen genutzt.
Wo hilft ein Schnelltest?
Mit dem Ende der deutschen Sommerferien und der beginnenden kalten Jahreszeit ist es wahrscheinlich, dass auch in Deutschland das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen eine andere Dynamik entwickelt. Zur Prävention der rasanten Ausbreitung des Virus und damit verbundenen Einschränkungen des Alltags könnten einfache Point-of-Care-Methoden einen wesentlichen Beitrag leisten. Urlaubsrückkehrer könnten noch direkt an Flughäfen getestet werden. Für Hochschulen, Schulen und Kitas existieren derzeit keine präventiven Testkonzepte oder -kapazitäten. Diagnostische Nachweise, bei denen kein großer Geräte-, Material- und Personalaufwand besteht, bei denen die Durchführung drastisch vereinfacht und die Leistungsfähigkeit der Tests trotzdem vergleichbar zur Labormethode ist, könnten eine große Chance bieten. um die zurückgewonnene Normalität in Zeiten der Pandemie weitestgehend aufrechtzuerhalten. SHERLOCK und DETECTR sind hervorragende Beispiele dafür, dass gerade im „Krisenmodus“ Raum für Innovation entsteht. Diese Chance sollte nicht verpasst werden.
Literaturliste kann beim Autor unter info@milenia-biotec.de angefordert werden.
Text aus |transkript 3/2020