Den Unterschied spüren
Eine Zelle ist wie eine kleine, komplexe Maschine. Permanent interpretiert sie ihre Umgebung und reagiert darauf. In vielen Fällen führt das zu Veränderungen der Zelle, die im Mikroskop sichtbar sind. Sich teilende oder migrierende Zellen sind anschauliche Beispiele. Es gibt jedoch auch sichtbare Veränderungen, die mit Krankheiten assoziiert sind. Darum möchten Wissenschaftler Zellen beobachten, ihre Reaktionen erforschen und auf Basis der neuen Erkenntnisse medizinische Anwendungen entwickeln.
Zellmechanik
Nicht nur sehen – also die optische Analyse – hilft, Zellen zu charakterisieren, sondern auch fühlen. Wirken Kräfte auf Zellen ein, lässt sich beobachten, ob sie weich oder fest sind. Krebszellen sind zum Beispiel oft weicher als gesunde Zellen. Das Aussehen (Morphologie) und die Festigkeit (Rheologie) sind somit gesamt-zelluläre Biomarker. Im Gegensatz dazu werden Zellen in der klassischen Durchflusszytometrie über spezifische Moleküle charakterisiert, die erst über Fluoreszenzmarkierungen sichtbar werden. Die Betrachtung der Zelle als Ganzes hat den Vorteil, dass nichts markiert werden und auch keine Annahme getroffen werden muss, welche Moleküle für die konkrete Frage eine Rolle spielen.
Neue Technik
Um die Zellmechanik für viele Anwender nutzbar zu machen, hat Zellmechanik Dresden den AcCellerator entwickelt. Ein Foto von jeder Zelle sowie Informationen zu Festigkeit, Größe, Helligkeit – und das Ganze dank Mikrofluidik mit hohem Durchsatz – liefert die zugrundeliegende Methode der „Real-time Deformability Cytometry“ (RT-DC). Laut zahlreichen Publikationen wurden erste Anwendungen von Nutzern etabliert. Sie analysierten bereits verschiedene Blutzelltypen, Endothelzellen und auch Kardiomyozyten. Anwendungen im Bereich der Immunzellaktivierung, Parasitenerkennung oder Qualitätskontrolle von Blutprodukten sind ebenfalls bereits getestet worden. Der AcCellerator kann optional mit Soft- und Hardware erweitert werden, um zum Beispiel parallel die Fluoreszenz zu messen (RT-FDC).
Anwendungsbeispiel Sepsis
Ein Gebiet, auf das sich Zellmechanik Dresden zusammen mit klinischen Kooperationspartnern konzentriert, ist die Sepsis. Diese Überreaktion des Immunsystems führt zu sehr schnell sichtbaren und fühlbaren Änderungen der weißen Blutzellen. Diese Information lässt sich als diagnostischer Marker anwenden, mit dem man die Sepsis-Therapie überwachen und schneller als bisher anpassen kann.
Das stetig wachsende Feld der Mechanobiologie und markierungsfreien Zytometrie spielt eine immer größere Rolle und wird sich als weiterer Standard in Forschungslaboren sowie der klinischen Diagnostik und Entwicklung etablieren.
aus transkript 3/2020, LABORWELT-Spezial Zellbiologie & Genomics