LAMP-Seq für die Corona-Diagnostik
LABORWELT. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Sequenzierungsverfahren anstelle der qPCR- und Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2-Varianten zu etablieren?
Schmid-Burgk. Der Einsatz von Sequenziermaschinen gehört für mich als Molekularbiologe zu meiner täglichen Arbeit. Zu Beginn der Pandemie habe ich mich gefragt, ob man diese Technologie nicht auch nutzen kann, um Corona-Abstriche im Hochdurchsatz zu analysieren und so in kurzer Zeit viele Tests zu realisieren. Zusammen mit der Humangenetikerin Dr. Kerstin Ludwig und anderen Kollegen des Universitätsklinikums Bonn haben wir dann das LAMP-Seq-Verfahren entwickelt. Dazu haben wir das bereits etablierte LAMP-Verfahren, also die Vermehrung des Virusgenoms bei konstanter Temperatur, adaptiert und es mit Sequenziermaschinen aus der biomedizi-nischen Forschung kompatibel gemacht. Im Ergebnis lassen sich viele Proben gleichzeitig analysieren.
LABORWELT. Wo liegen die Vorteile des automatisierten LAMP-Seq-Verfahrens zur Massentestung von Infektionen mit pandemischen Viren?
Schmid-Burgk. Im Vergleich der verschiedenen Test verfahren werden die Stärken jeder Methode schnell deutlich. Der größte Vorteil der qPCR-Methode ist ihre Genauigkeit. Zu verschiedenen Zeitpunkten der Pandemie haben wir allerdings gesehen, dass der qPCR-Test nicht beliebig skalierbar und gemessen am Preis pro Test auch eher höherpreisig ist. Auf der anderen Seite sind Antigenschnelltests günstig und schnell, aber nicht so zuverlässig wie das RT-qPCR-Verfahren. Das von uns entwickelte LAMP-Seq-Verfahren ist darauf ausgerichtet, möglichst viele Abstriche gleichzeitig zu analysieren. Den eingesetzten Sequenziergeräten ist es – vereinfacht gesagt – egal, ob in einem Run 500 oder 10.000 Proben analysiert werden. Sowohl die Kosten als auch die Dauer der Sequenzierung bleiben gleich. Und somit liegt ein weiterer Vorteil auf der Hand: Wird das LAMP-Seq-Verfahren genutzt, um viele Proben gleichzeitig zu analysieren, verteilen sich die Kosten auf entsprechend viele Abstriche, und damit könnte der Preis pro Test deutlich gesenkt werden.
LABORWELT. Wo sehen Sie konkrete Anwendungsfelder, wo aktuelle Beschränkungen des Verfahrens?
Schmid-Burgk. Wir sehen das größte Potential unseres neu entwickelten Verfahrens vor allem in der systematischen und präventiven Testung von Bereichen, in denen sich viele Menschen regelmäßig begegnen. Das können zum Beispiel Kitas, Schulen oder Betriebe sein. Hier ist es wichtig, Infizierte zu finden, bevor sie andere Personen anstecken. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten Massenscreenings mit möglichst hoher Sensitivität und zu vertretbaren Kosten wichtig sein, um ein detailliertes Bild von bestehenden Infektionsketten zu bekommen. Genau dafür bietet sich der am UKB entwickelte Corona-Test LAMP-Seq an.
LABORWELT. Wie funktioniert das Verfahren genau und was würde es kosten, wenn es skaliert ist?
Schmid-Burgk. Das LAMP-Seq-Verfahren besteht aus zwei Teilen: im ersten Schritt – dem Amplifikationsschritt – wird ein Bereich des vorhandenen Virusgenoms vervielfältigt. Im zweiten Schritt wird dann eine große Anzahl von bis zu 100.000 Proben mit Hilfe einer Hochdurchsatz-Sequenziermaschine analysiert. Technisch ist das kein Problem. Die tatsächliche Realisierung solch großer Testzahlen ist jedoch abhängig von der Logistik bei der Probennahme und Probenvorbereitung. Ermöglicht wird dieses Verfahren durch eine Innovation, die wir in Bonn entwickelt haben. Bevor tausende Proben gepoolt und in einem Sequenzierlauf analysiert werden, wird jede einzelne Probe zwecks Zuordnung mit einem molekularen Barcode versehen. Dadurch wird LAMP-Seq zu einem skalierbaren Corona-Massentest.
LABORWELT. Was waren die größten Herausforderungen bei der Entwicklung und welche externe Expertise steckt in dem Projekt?
Schmid-Burgk. Die größte Herausforderung war, eine ausreichende Zahl klinischer Proben sowie finanzielle Mittel zur Entwicklung der Technologie von der Idee bis hin zur klinischen Anwendung binnen eines Jahres zu akquirieren. Dies ist uns nur mit Unterstützung des Universitätsklinikums Bonn sowie des BMBF im Rahmen des Nationalen Forschungsnetzwerkes Universitätsmedizin gelungen.
LABORWELT. Wie weit ist die CE-Zertifizierung fortgeschritten und inwieweit lässt sich der Test für eine Anwendung außerhalb des Forschungskontextes idiotensicher machen?
Schmid-Burgk. Das Konformitätsbewertungsverfahren für die CE-Kennzeichnung läuft derzeit. Die Abläufe bei der Testung mit LAMP-Seq von der Terminbuchung und Abstrichentnahme über die Probenlogistik, Laboranalyse und Datenauswertung bis zur digitalen Rückmeldung der Ergeb-nisse wurden ausgiebig optimiert und dokumentiert, so dass unser Verfahren hoffentlich bald außerhalb unseres Labor- und Studiensettings angewendet werden kann.
LABORWELT. Haben klinische Labore die Ausstattung, um den Test ohne Zusatzinvestition durchführen zu können?
Schmid-Burgk. Für die Anwendung des LAMP-Seq-Verfahrens sind lediglich ein Sequenzierer, ein handelsüblicher Pipet-tierroboter sowie reguläre Laborgeräte und Sterilarbeitsplätze erforderlich. Diese Infrastruktur ist bereits jetzt in vielen Laboren vorhanden und muss daher nicht extra aufgebaut werden.
LABORWELT. Wo wollen Sie mit dem Test in einem Jahr stehen?
Schmid-Burgk. Unser Ziel ist es, die Technologie für die reguläre Testung auf SARS-CoV-2 außerhalb des akademischen Studiensettings einsetzbar zu machen. Wir hoffen natürlich, dass der Verlauf der Pandemie dies nicht erforderlich macht. Sollte es aber zu weiteren Infektionswellen kommen, soll die Technologie bereitstehen, um skalierbar eingesetzt zu werden. Langfristig möchten wir das LAMP-Seq-Verfahren so weiterentwickeln, dass es auch differentialdiagnostisch für die Testung auf andere Erreger eingesetzt werden kann.
Aus dem Laborwelt-Spezial in |transkript 3/2021