Dass die sogenannte Industrie 4.0 auch für Firmen in den Life Sciences ein Thema sein sollte, macht Martin Nehls im LABORWELT-Interview deutlich. Nehls ist CFO der Itizzimo AG, einem Start-up mit 70 Angestellten.
Big-Data-Analysen, Laborinformationssysteme und Cloud-Computing – schon längst haben digitale Helfer den Weg ins Labor gefunden. Anders sieht es mit der Digitalisierung der Prozesse aus.
LABORWELT
Itizzimo kommt ursprünglich aus dem Bereich der SAP Services. Warum will die Firma die Life Sciences als neues Geschäftsfeld erschließen?
Nehls
Wir haben in prozessgetriebenen Industrien wie den Life Sciences einen riesigen Vorteil: Es gibt schon sehr viele datenliefernde Sensoren. Durch die Digitalisierung kann daher mit relativ wenig Aufwand ein Mehrwert geschaffen werden. Dazu kommt, dass speziell der Bereich Life Sciences Innovationen gegenüber sehr positiv eingestellt ist. Wir hoffen daher, dass unsere Ideen in diesem Umfeld schnell verwirklicht werden können.
LABORWELT
Ist das ein Thema nur für die Biotech- und Pharma-Industrie? Oder können auch akademische Labore davon profitieren?
Nehls
Die Anwendungsfälle sind so breit wie die Wissenschaft selbst. Anwendungen sind heutzutage nicht nur im Produktionsumfeld, sondern auch in Forschungslabors möglich. Häufig geht es darum, Informationen aus laufenden Prozessen zu erfassen und zu bestimmten Zeitpunkten Maßnahmen automatisch anzutriggern, beziehungsweise auf einen erforderlichen händischen Eingriff hinzuweisen. Ein Beispiel wäre, dass ein Sensorparameter einen bestimmten Wert erreicht hat. Ob Forschungslabor oder Produktionsstrecke – letztlich ist das ja nur eine Frage der Skalierung.
LABORWELT
Itizzimos Software-Plattform Simplifier wird als Werkzeug für die digitale Transformation beworben. Was kann die Software?
Nehls
Die Plattform ermöglicht es, Prozesse einfach abzubilden und aus diesen Abbildungen Softwarecode zu generieren. Die Erstellung von kompletten Applikationen erfolgt zum Großteil durch Konfiguration. Nur geringe Bestandteile müssen händisch durch Eingreifen in den Code programmiert werden.
LABORWELT
Das versteckt sich also hinter dem Begriff „Low-Code Development“?
Nehls
Genau. Mit einer Low-Code Development-Plattform soll erreicht werden, dass wenig bis gar nicht händisch programmiert werden muss. Der Aspekt Low-Code ermöglicht es, von der Prozessebene über die logische Verknüpfung der Schnittstellen verschiedene Prozesse abzubilden. Die Informationen werden dabei einerseits eingeholt, aber andererseits wieder in andere Systeme zurückgespielt. Der Einsatz von professionellen Softwareentwicklern ist bei Low-Code-Plattformen nicht erforderlich. Die rasche Umsetzung von Anforderungen sowie das schnellstmögliche Deployment stehen bei Low-Code ebenfalls im Vordergrund. Es wird aber auch berücksichtigt, dass Qualitätsstandards eingehalten werden.
LABORWELT
Ist das System mit den bestehenden Anwendungen und Prozessen im Labor kompatibel?
Nehls
Ja. Das System wird in eine bestehende Prozesslandschaft samt vorhandener Sensoren integriert. Sollte es einmal keine Konnektoren geben, gewährleisten wir oder unsere Partner, dass diese bereitgestellt werden.
LABORWELT
Bei der Labvolution in Hannover läuft Ihr Vortrag unter dem Schwerpunkt Digitalisierung im Labor und Optimierung von Workflows. Ihr Thema ist „A modern lab: unthinkable without mobile data!“ Wie passt der Aspekt der mobilen Daten hier ins Bild?
Nehls
Das Smartphone ist ein Ein- und Ausgabegerät, das durch unser System in die Prozesse im Labor eingebunden werden kann. Aber die mobilen Daten können auch von Datenbrillen, Laptops oder Smartwatches kommen. Im Zuge der frühen Google Glass-Entwicklung hat sich Itizzimo 2012 das Ziel gesetzt, unterstützende Software für Anwendungen auf Datenbrillen bereitzustellen. Dabei werden dem Nutzer relevante Daten kontextbasiert im menschlichen Sichtfeld zur Verfügung gestellt, um zum Beispiel Laboranten SOPs zugänglich zu machen.
LABORWELT
Wie sieht die Einführung der Plattform in einem Betrieb denn konkret aus?
Nehls
Wir empfehlen immer, einen Hackathon durchzuführen. Der Hackathon ist ein Verfahren, bei dem ein Unternehmen oder eine Forschungseinrichtung relativ schnell herausfinden kann, ob unsere Simplifier-Plattform zum Erreichen der gewünschten Ziele beitragen kann. Das sieht dann so aus, dass sich ein erfahrener Programmierer oder Konfigurator von uns mit den Prozesseigentümern an einen Tisch setzt. Dann werden zusammen bestimmte notwendige Prozesse identifiziert und über eine Konfiguration abgebildet. Das Ziel ist es, schnell eine prototypische Darstellung eines zukünftigen Prozesses zu erhalten. In der Regel laufen diese Workshops zwei bis drei Tage. Danach erhalten unsere Kunden bereits einen sehr realitätsnahen Prototyp.