Arzneimittelrückstände in Gewässern führen dazu, dass Fische ihr natürliches Reaktionsvermögen in Stresssituationen verlieren. So werden sie leichter zur Beute von Raubfischen.
Im Rahmen des interdisziplinären Projekts Effect Network in Water Research erforschen Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Tübingen sowie vom Karlsruher Institut für Technologie die Auswirkungen von Medikamenten und Lebensmittelzusatzstoffen auf die aquatische Umwelt. Das Projekt läuft seit 2016, endgültige Ergebnisse werden zwar erst Ende 2021 erwartet, aber schon jetzt lässt sich sagen: Sowohl Fluoxetin als auch Citalopram, zwei häufig verschriebene Medikamente gegen Depressionen, haben besonders starke Auswirkungen auf Fische. Selbst niedrige Konzentrationen, die nicht umweltrelevant sind, bewirken auffällige Verhaltensänderungen.
In Versuchen mit Zebrabärblingen und Bachforellen stellten die Forscher fest, dass Embryonen von Zebrabärblingen, eigentlich sehr empfindlich für Veränderungen der Lichtintensität, ihren normalen Schutzreflex verloren. Normalerweise werden die Tiere hektisch und suchen ein Versteck, wenn sich die Beleuchtung ändert. Unter dem Einfluss der Medikamente war das aber nicht mehr so. Bachforellen verhielten sich ähnlich. "Vergleichbar mit der Abnahme von Depressionszuständen, wie sie beim Menschen beobachtet wird, scheinen Fische ihr natürliches Angstverhalten mit steigender Konzentration der Wirkstoffe im Wasser abzulegen. Das macht sie zu einer leichten Beute für Raubfische", so Projektkoordinator Thomas Braunbeck, Biologe am Centre for Organismal Studies der Uni Heidelberg.
Rückstände eines Antidiabetikums gegen Diabetes Typ-2 führten hingegen dazu, dass die Fische in ihren Lebern verstärkt Kohlenhydrate ablagerten und an Gewicht verloren. "Dies kann langfristig zu Veränderungen in der Entwicklung und Vitalität führen", so Rita Triebskorn vom Institut für Physiologische Ökologie der Universität Tübingen. Außerdem fanden die Forscher in den Tieren schädliche Bakterienarten, die laut Thomas Schwartz vom Institut für Funktionelle Grenzflächen des KIT, in der Darmflora der Tiere verstärkt aktiviert werden und sie krank machen können.
Im Rahmen des Projektes wurde auch das Verbraucherverhalten hinterfragt. Eine Umfrage mit mehr als 2.000 Teilnehmern zeigte, dass vielen Menschen die Gefahr bewusst ist, die von Medikamenten für die aquatische Umwelt ausgeht. Allerdings machten die meisten von ihnen eher Industrie und Landwirtschaft für die Gewässerverschmutzung verantwortlich. Weniger umweltschädliche Produkte kämen in die engere Wahl, allerdings sollten sie nicht mehr kosten als die derzeitigen. Die Frage nach staatlichen Regulierungen (Produktverbot) oder Steuer auf umweltschädliche Medikamente fiel zugunsten der staatlichen Regulierung.
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