Der Schleimpilz Physarum polycephalum ist die größte Zelle der Erde – was im Guinness-Buch der Rekorde nachzulesen ist – und er hat kein Zentrales Nervensystem. Trotzdem speichert er Erinnerungen, auf die er wieder zurückgreifen kann.
Wie er das macht, das haben Forscherinnen vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) und der Technischen Universität München (TUM) nun herausgefunden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten Mirna Kramar (MPI-DS) und Prof. Dr. Karen Alim (TUM und MPI-DS) Ende Februar in Proceedings of the National Academy of Science (PNAS).
Der Körper von Physarum plycephalum besteht aus einem röhrenförmigen Netzwerk, das mehrere Meter groß werden kann. Dieses Netzwerk kann die größte Zelle der Erde nicht nur an eine sich verändernde Umgebung anpassen. Es dient ihr auch als Gedächtnis. Der Organismus arbeitet Erinnerungen an Nahrungsorte direkt in den netzwerkartigen Körper ein und bewahrt die damit gespeicherten Informationen für künftige Entscheidungen.
Kramar und Alim verfolgten die Fortbewegung von P. plycephalum und seine Nahrungsaufnahme. Dabei fanden sie einen Abdruck, den die Nahrungsquellen im Muster der Netzwerkröhren zurückließen und der auch lange nach der Nahrungsaufnahme noch zu erkennen war. „Angesichts der schnellen Reorganisation des Netzwerks von P. polycephalum“, so Karen Alim, „weckte die Persistenz dieses Abdrucks bei uns die Idee, dass die Netzwerkarchitektur selbst als Gedächtnis der Nahrungsorte dienen könnte. Allerdings mussten wir zunächst den Mechanismus entschlüsseln, der hinter der Bildung der Netzwerkmusters steckt.“ Die Forscherinnen kombinierten dafür mikroskopische Beobachtungen der Vorgänge im Netzwerk und die theoretische Modellierung. Sie stellten fest, dass im Inneren der Zelle eine Chemikalie freigesetzt wird, wenn es zu Kontakt mit Nahrung kommt. Diese Chemikalie bewegt sich durch den kompletten Organismus und macht auf ihrem Weg die Röhren weicher. „Dort wo die Röhren allmählich weicher werden, kommen auch die noch vorhandenen Abdrücke früherer Nahrungsquellen ins Spiel. Dort wird die gespeicherte Information abgerufen“, erklärt Mirna Kramar, Erstautorin der Studie. „Vergangene Nahrungsaufnahmen sind in die Hierarchie der Röhrendurchmesser eingebettet, konkret in der Anordnung von dicken und dünnen Röhren im Netzwerk.“ Und auch sie werden in die Entscheidung über die künftige Bewegungsrichtung mit einbezogen. „Es ist bemerkenswert, dass der Organismus einen so einfachen Mechanismus verwendet und ihn dennoch auf so fein abgestimmte Weise kontrolliert“, so Karen Alim.
Die Forschungsergebnisse könnten zur Entwicklung von intelligenten Materialien oder von weichen Robotern führen, die durch komplexe Umgebungen navigieren.
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