Ist ein Verfahren, das die Herstellung großer DNA-Moleküle enorm vereinfacht, der Durchbruch für die synthetische Biologie? Wissenschaftler der ETH Zürich haben damit das weltweit erste Genom eines Lebewesens komplett am Computer erzeugt.
Glaubt man den ETH-Wissenschaftlern, die Craig Venter trotz 11 Jahre Forschungsvorsprung und 40 Mio. US-Dollar-Investition beim Design künstlicher Bakteriengenome abgehängt haben, hat ihre neue Methode das Potential, die Biotechnologie zu revolutionieren. „Was mit Craig Venters Technologie zehn Jahre dauerte, hat unsere kleine Gruppe mit unserer neuen Technologie innerhalb eines Jahres mit Herstellungskosten von 120.000 CHF erreicht, “ sagt Forschungsleiter Beat Christen selbstbewusst. Aus 236 Genomstücken haben die Forscher quasi am Reißbrett das Genom der virtuellen Minimalmikrobe Caulobacter ethienesis 2.0 konstruiert. Diese hat noch 680 Gene. Die Vorlage, das limnische Modellbakterium Caulobacter crescentus, besitzt rund 4.000 Gene.
Während Venter ein bakterielles Genom Eins zu Eins kopierte, veränderten die ETH-Forscher ihr Genom mit Hilfe eines Computeralgorithmus wesentlich – einerseits, um es sehr viel einfacher herstellen, andererseits, um damit grundlegende Fragen der biologischen Funktion von Genen beantworten zu können. Durch schrittweise, winzige Änderungen in mehr als einem Sechstel der insgesamt 800.000 DNA-Bausteine des Minimalgenoms beseitigten die Bioinformatiker zunächst diverse Redundanzen im Genom.
Lackmustest für Synbio
„In unserem Genom ist die Abfolge der DNA-Bausteine neu und gegenüber der ursprünglichen Sequenz nicht mehr wiederzuerkennen. Die biologische Funktion auf Ebene der Proteine bleibt jedoch dieselbe“, so Christen. „Unsere Methode ist ein Lackmustest, um zu überprüfen, ob wir die Genetik richtig verstanden haben, und sie erlaubt uns, allfällige Wissenslücken aufzuspüren“, sagt Christen. Denn in dem umgeschriebenen Genom ist zwangsläufig nur Information enthalten, welche die Forscher auch verstanden haben. Obgleich bislang nur 580 der 680 Gene korrekt abgelesen werden, sind die ETH-Wissenschaftler überzeugt, dass eine der Folgeversionen ein funktionstüchtiges Bakterium ergeben wird.
„Wir glauben, dass es bald möglich sein wird, aus einem solchen Genom funktionsfähige bakterielle Zellen herzustellen“, meint Christen. Als mögliche Anwendungen sieht er synthetische Mikroorganismen, die zur rekombinanten Produktion komplexer Pharmazeutika, und von Vitaminen oder aber als DNA-Vakzine eingesetzt werden könnten. „So vielversprechend die Forschungsresultate und möglichen Anwendungen auch sind, sie verlangen eine tiefgreifende gesellschaftliche Diskussion darüber, zu welchen Zwecken diese Technologie angewandt werden darf, und darüber, wie Missbräuche verhindert werden können“, so Christen.
Membranlose Organellen
Wissenschaftler des Heidelberger EMBL und der Universität Mainz haben unterdessen erstmals synthetische Designer-Organellen erschaffen, mit denen sie maßgeschneiderte Proteine aus den 20 natürlichen und 300 extern zugegebenen synthetischen Aminosäuren mittels des Translationsapparates lebender Zellen herstellen können. Um die dazu benötigen RNAs und Proteine räumlich zu konzentrieren, nutzten sie das Prinzip der Phasenseparation. Durch Zugabe von fünf Komponenten erschufen sie so pro Zelle eine membranlose Organelle, die dynamisch mit dem umgebenden Zytoplasma interagiert, aber dennoch die Translation ausführen kann. „Mit unserem Tool kann man translatieren, aber möglicherweise auch andere zelluläre Prozesse wie Transkription und posttranslationale Modifikationen nachstellen und so das Funktionsrepertoire natürlicher komplexer lebender Systeme erweitern“, erklärt Erstautor Christopher Reinkemeier. Die Arbeit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu halb-synthetischen eukaryotischen Zellen.
Synbio-Standards
Arbeiten wie die von Christen und Reinkemeier geben der Vision einer reproduzierbaren zellfreien Produktion von Biologika, aber auch von Feinchemikalien und Substanzen, die für die Produktionszellen toxisch sind, mächtigen Auftrieb. Nach der BMBF-Förderinitiative zur zellfreien Bioproduktion ist jetzt eine OECD-Standardisierungsinitiative in Sicht. „Public-Private Partnerships wären ein Mittel, die Standardisierung von Wertstoffen für die Bioökonomie und Pharmazie voranzubringen“, so James Philp von der OECD in Paris. In den sogenannten Biofoundaries soll die Übertragung des in den Ingenieurwissenschaften bewährten iterativen Prozessdesigns (designen – bauen – testen) auf die Biotechnologie sichergestellt werden. Die interdisziplinär arbeitenden Zentren sollen industrierelevante Produktionsstämme, entsprechend standardisierte Werkzeuge zu deren Modifikation und Algorithmen zur Daten- und Sequenzanalyse erarbeiten und auf dieser Basis skalierbare Prozesse entwerfen. Dies würde einen Schub für Anwendungen der synthetischen Biologie bedeuten, so Philp: „PPPs vermeiden Hochrisiko-Investitionen durch Unternehmen und mindern das Entwicklungsrisiko neuer Bioengineering-Plattformen.“
Momentan gibt es laut Philp nur wenige Biofoundaries, aber er glaubt, Europa sei in einer vorteilhaften Position. Derzeit arbeite die OECD an der Vernetzung biologischer Ressourcenzentren, die entsprechende Forschungswerkzeuge bereitstellen könnten. Der erste wichtige Schritt für eine hochreproduzierbare Bio-Produktion sei jedoch die Standardisierung. Diese, so Philp, könne in fünf Jahren erreicht werden.