Der erste Klima-Krieg tobt
Mehlwürmer! An diese Viecher, die eigentlich Käfer sind, muss ich immer denken, wenn die neuesten Hiobsbotschaften vom Weltklimarat kommen. Im Studium setzten wir die in ein großes Glas Mehl und maßen die Populationsentwicklung in diesem isolierten System. Die Tierchen vermehrten sich bestens, bis alles aufgefressen oder verschmutzt war und die Population erlosch. Genauso doof benehmen sich die Menschen in ihrem überbevölkerten Wohnglas, der Erde. Das Aussterben ist schon in Sicht.
Deshalb war meine erste Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine auch: „Hilfe, für sowas Altmodisches haben wir doch nun wirklich keine Zeit!“ Zumal ich selbst noch in einer Nachkriegszeit aufgewachsen bin – die mir allerdings, da ich nichts anderes kannte, als Kind völlig normal vorkam. Mein Vater war „schwerkriegsbeschädigt“, er hatte in Russland ein Bein verloren. An meinem Schulweg lag nicht nur ein trutziger Luftschutzbunker Typ M500, sondern auch die Ruine eines großen Wohnhauses, in der unzählige Tauben wohnten. Als die Trümmer unweit meiner Schule dann gesprengt wurden, mussten wir uns in der Klasse auf den Boden hocken. Dazu die täglichen Frontberichte aus Vietnam im Fernsehen. Alles ganz normal. Es folgten Jahrzehnte des Prosperierens dank der „Friedensdividende“ bis hin zum heutigen, ich-bezogenen Anspruchsdenken, das vielfach so überaus nervt.
Und nun also wieder Krieg. Die Jüngeren kennen den nur aus Filmen, die Völkerwanderung aus der Schule. „Das Ende der Geschichte“ postulierte Francis Fukuyama 1989, da es keine Widersprüche zwischen den Völkern mehr gäbe. Anfang 2022 wurde spätestens klar, dass dies ein Irrtum war. Schon die Völkerwanderung um 2015 hatte auch klimatische Gründe, und mit der Klimakatastrophe sind wir mitten drin in einer epochalen Geschichtsperiode. Verteilungskämpfe sind unausweichlich, so ist die menschliche Natur.
In der Ukraine tobt der erste Klima-Krieg der neueren Geschichte. Russland – eine Volkswirtschaft von der Größe Spaniens – sitzt auf einem Schatz fossiler Rohstoffe, von denen das Land fast ausschließlich lebt. Durch Defossilierung wird dieser Schatz sehr bald nichts mehr wert sein. Also will der alternde Lügendiktator auf dem Thron des Zaren noch schnell das Imperium zurück, damit in Zukunft abhängige Vasallenstaaten an der Peripherie das Auskommen der herrschenden Faschisten sichern. Das vom Krieg beschleunigte Zerbrechen der auf der Globalisierung basierenden Geschäftsmodelle des Westens birgt große Gefahren, doch auch den Druck, dass wir uns endlich den Herausforderungen unserer Zeit stellen. Unsere Freiheit ist ein kostbares, zu verteidigendes Gut, aber auch unser aller Lebensstil muss sich radikal den Gegebenheiten des Planeten anpassen – sonst geht es uns wie den Mehlwürmern im Glas.
Bei der Diskussion um die Technologien, die dem Klima (und uns) die Rettung bringen sollen, ist die Biotechnologie leider vollkommen ins Hintertreffen geraten. Schon lange ist klar, dass sich die Wirtschaft von der Droge Öl lösen muss. Doch wie das immer so ist mit Drogensüchtigen: lieber Ausreden als Veränderungen. Dass die Biologisierung der Industrie eine realistische Perspektive für Produzenten und Verbraucher ist, soll Anfang Oktober 2022 im Rahmen einer Schaufenster-Veranstaltung in Berlin gezeigt werden. Dann trifft sich die europäische Branche auf der INDUSTRIA BIOTEC Motto: Solutions for an endangered planet.
Das Editorial ist der aktuellen Ausgabe von |transkript entnommen.