Doppelbooster für die Branche
Seit mutmaßlich der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn hierzulande damit angefangen hat, ist der "Booster" aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken. Sicherlich die gefühlt tausendste kritiklose Übernahme eines Wortes aus dem US-Englischen – interessanterweise die Übertragung eines Begriffes aus dem Physikalisch-Technischen in die Naturwissenschaften. Schon im 19. Jahrhundert nannte man so Hilfsantriebe für Dampfmaschinen, später Hilfssprengladungen bei Zündungen, Spannungs- und Leistungsverstärker oder Hilfsraketen in der Raumfahrt. Nun gut, jetzt sind wir also alle geboostert (hoffentlich!), nämlich aufgefrischt (schönes Wort!) geimpft. Die Biotechnologie-Branche sieht sich gleich einer doppelten Verstärkungsladung ausgesetzt, von der in diesem Heft an vielen Stellen die Rede sein wird.
Booster I ist die Corona-Pandemie – ökonomisch gesehen, denn das große Leid vieler Menschen darf nicht vergessen werden. Zwar hatte sich die Biotechnologie in der Pharmazie schon länger durchgesetzt, doch lenkten die neuen mRNA-Impfstoffe nun auch den Blick von Politik und breiter Öffentlichkeit auf das enorme Innovationspotential des europäischen Biopharma-Sektors. Die Reaktion des großen Kapitals ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten, wie Georg Kääb in unserer Titelgeschichte beschreibt: Die Tore der Geldspeicher stehen weit offen und die Investoren suchen händeringend Anlagemöglichkeiten. Der weltweite Erfolg von Biontech war das Schlüsselereignis, auf das die Branche seit dem Absturz des Neuen Marktes gewartet hatte. Diese Geldflut wird die Wachstumsbedingungen in der Pharma-Biotechnologie weiter verbessern, auch wenn sie in hinteren Winkeln vielleicht nur noch als Rinnsal ankommt. Aber immerhin!
Booster II ist der Klimawandel - ökonomisch gesehen, das Leid ganzer Ökosysteme und vieler Menschen darf auch hier nicht vergessen werden. Jahrzehntelang wurde geklagt, dass der niedrige Ölpreis das Haupthindernis bei der ersehnten Biologisierung der Industrie ist. Jetzt, auf dem klimabedingten Pfad der Defossilierung, muss die Industrielle Biotechnologie zeigen, wie eine andere Form des Wirtschaftens aussehen kann: biologische Produktionsverfahren, die von vorneherein in die natürlichen Kreisläufe unseres Planeten integriert sind. Natürlich sind die Abwehrkräfte der Öl-Chemie mit ihren milliardenteuren Produktionsanlagen weltweit ungleich stärker als im Pharma-Markt, doch eine weitere Klimaerwärmung wird den Wandel erzwingen. Ob die industrielle Biotech-Branche der D/A/CH-Region dann auf der Gewinnerseite steht, muss sich erst noch zeigen. Ein Schlüsselereignis à la Biontech steht hier noch in den Sternen.
Klimaschutz sollte auch im Kleinen praktiziert werden. Auch die Menschen hinter |transkript denken daran, ob man einiges nicht vielleicht besser machen kann. Unsere Versandverpackung aus Plastik störte schon in der Vergangenheit so manchen Leser. Wir haben regelmäßig die Alternativen geprüft, doch die Ökobilanz etwa des guten alten Papierumschlages ist eher schlechter. Versuchsweise kommt diese erste Ausgabe des 28. Jahrganges in Deutschland ganz ohne Versandtasche, das (gut ablösbare) Etikett direkt auf das Heft geklebt. Bitte lassen Sie unseren Kollegen Lukas Bannert wissen, wie Sie das finden – für eine Mail an l.bannert(at)biocom.de wären wir Ihnen sehr dankbar.
Erschienen in |transkript 1/2022