Nackte Zahlen sind nicht alles
DAS war nun wirklich noch nie da: Die Hauptversammlung eines DAX-Konzerns versagt dem Vorstand die Entlastung. Und das waren nicht nur über eine Fast-Halbierung des Aktienkurses erboste Kleinaktionäre, sondern Profis wie Fondsgesellschaften und einflussreiche Stimmrechtsberater. Während das Management auf der „industriellen Logik“ der Monsanto-Übernahme beharrt, sehen die Kritiker die Risiken außer Kontrolle. Meine Meinung hatte ich schon im vergangenen Sommer an dieser Stelle formuliert. Darf man sich selbst zitieren? Ich mach‘s mal: „Muss man sich mit einem gewaltigen finanziellen Kraftakt ausgerechnet ein Unternehmen kaufen, das weltweit und schon seit Jahrzehnten einen ausgesprochen miesen Ruf hat? Ob PCB, Agent Orange, rekombinantes Rindersomatotropin, Glyphosat – der mehr als 100 Jahre alte Konzern aus St. Louis/Missouri hatte und hat überall dort seine Finger im Spiel, wo mit Chemie und Gentechnik hart gegen die Eigenheiten der Natur vorgegangen wird. Passt das zu einem Life-Sciences-Konzern mit Gesundheitsanspruch?“ In Vorstandschef Baumanns Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Ein „ehrenwerter Kaufmann“ würde sofort zurücktreten. Wahrscheinlich müssen Vorstand und Aufsichtsrat aber erstmal von der Suppe löffeln, die sie angerichtet haben.
Die Redewendung mit dem Glas, das halbvoll oder halbleer ist, dürfte zu den meistbemühten der jüngsten Jahrzehnte gehören. Jedes Frühjahr ist es spätestens so weit, wenn die Ergebnisse der Umfragen in der Biotech-Branche Deutschlands veröffentlicht werden. Während die BIOCOM/OECD-Zahlen in der Regel Optimismus verbreiten, schlägt der Verband BIO Deutschland im Schulterschluss mit einer internationalen Beratungsgesellschaft eher düstere Töne an. „Hiesige Biotechs dümpeln dahin – Abstand zu amerikanischen Wettbewerbern wird größer“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu letzterem. Nach mitreißender Begeisterung klingt das nicht. Interessanterweise liegen die ermittelten Daten gar nicht weit auseinander. Ob es nun 15 oder 25 Start-ups im Jahr 2018 waren, spielt angesichts von insgesamt 122.700 Unternehmensgründungen in Deutschland, deren Rechtsform oder Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, kaum eine Rolle. Es ist nun mal leichter, eine App als ein Medikament zu entwickeln. Entscheidend ist, was dabei herauskommt. Über die Vor- und Nachteile des Standortes und die zweifellos vorhandenen Probleme – die industrielle Logik – gibt es übrigens kaum einen Dissens. Ob das Mantra, in den USA sei alles viel, viel besser als hier, potentielle Gründer hierzulande eher motiviert oder abschreckt? Ist es wirklich so schwer, eine positive Stimmung für unsere Sache zu verbreiten? Klar, intern und gegenüber der Regierung muss Klartext geredet werden: bessere Rahmenbedingungen sind dringend erforderlich. Doch gegenüber der (Wirtschafts-)Presse und der sonstigen Öffentlichkeit sollte doch das stetige Wachstum im Vordergrund stehen und vor allem die Botschaft, dass hier schlaue Leute erfolgreich eine faszinierende, nachhaltige Technologie entwickeln, die viele Probleme unserer Zeit lösen könnte.