Von Gerichten, Urteilen und einem ungehörten Warnschuss
Eigentor
Mutagene Gamma-Strahlen in der Pflanzenzüchtung einzusetzen bleibt wohl ohne jegliche Sicherheitsüberprüfung erlaubt, zielgerichtete Züchtung mit modernen molekularbiologischen Methoden wie CRISPR & Co. wird jedoch der ultrakomplexen GVO-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG unterworfen: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes sorgt vielerorts für Entsetzen. Sicherlich sollen die Juristen nicht die Arbeit der Regierungen machen und urteilen streng nach Paragraphenlage, doch wenn der Schrotschuss freigegeben und das Skalpell sanktioniert wird, muss man doch fragen, ob die Richter hier noch auf der Höhe der Zeit sind. Natürlich hatten sie einen Gestaltungsspielraum, den sie jedoch nicht genutzt haben. Die Folgen werden dramatisch sein: Das an bloß vermuteten Gefährdungen orientierte Gentechnik-Recht können – wenn überhaupt – nur Großkonzerne handhaben, kleine und mittlere Unternehmen starten erst gar nicht oder gehen in den Rest der Welt. Bestenfalls wird es Jahre dauern, bis „die Politik“ neue rechtliche Grundlagen schafft. Bis dahin würgt das Urteil eine Riesenchance für Europa ab: die Entstehung einer dynamischen Innovationsszene rund um die neuen Genscheren, die Pflanzenzucht und Landwirtschaft revolutionieren könnte. Ein klassisches Eigentor.
Quittung
„Bayer-Aktie im freien Fall“ hieß es unlängst, als ein Gerichtsurteil gegen die neue Tochter Monsanto binnen Stunden mehr als 15 Mrd. Euro Marktkapitalisierung verdampfen ließ. Der Kurs hat sich inzwischen etwas erholt, doch offenbar sind die Anleger sensibel und skeptisch, ob der Monsanto-Kauf wirklich eine gute Idee war.
Overshoot
Im August gab es den Internationalen Tag des Bieres, den Weltkatzentag und den Internationalen Linkshändertag, um nur drei von unzähligen Gedenk- und Aktionstagen zu nennen. Auf den 1. August fiel in diesem Jahr der Earth Overshoot Day, auf Deutsch etwas sperrig „Erdüberlastungstag“. Im Gegensatz zu den eingangs genannten geht dieser Kampagnentag uns alle an: Er markiert im Kalender das Datum, an dem die Menschheit die Fähigkeit der Erde überschreitet, die in einem Jahr verbrauchten Ressourcen nachwachsend zur Verfügung zu stellen. Oder anders gesagt: Die Menschheit hat die Ressourcen, welche die Natur in einem Jahr wiederherstellen kann, 2018 in sieben Monaten und einem Tag verbraucht. Bildlich gesprochen, so das Umweltbundesamt, lebt die Weltbevölkerung derzeit so, als hätte sie 1,7 Erden zur Verfügung. Dabei ist unser Marsch auf den Abgrund zu weiterhin ungebremst: Der Erdüberlastungstag ist in diesem Jahr ein Tag früher als 2017, noch 1987 fiel er auf den 19. Dezember! Wir alle sind das Problem, und die Bewohner der Industrieländer vorneweg – würde die ganze Menschheit so viel konsumieren wie Deutschland, fiele der Erdüberlastungstag sogar auf den 2. Mai. Da können wir noch so viel Müll trennen oder Häuser in Kunststoffschäume einpacken, wirklich helfen würde nur eine grundlegend andere Art des Lebens und des Wirtschaftens einer nicht mehr wachsenden Erdbevölkerung. Allerhöchste Zeit für die Biologisierung der Industrie und einen Primat der Nachhaltigkeit. Doch haben Sie, liebe Leser, den Eindruck, dieser Warnschuss wurde von „der Politik“ und den urlaubenden Bürgern gehört? Ich fürchte, er verhallte unbemerkt im Sommerloch.