Von Kriechern, Optimisten und der freien Entfaltung
O tempora, o mores!
Das umgangssprachliche Wort „fremdschämen“ findet sich inzwischen im Duden – das hat zwar in der Post-Rechtschreibreform-Ära nicht mehr viel zu bedeuten, aber immerhin. In letzter Zeit fremdschäme ich mich immer öfter, liebe Leser, also kann ich das Wort gut gebrauchen. Ganz besonders schäme ich mich für die angestellten Manager der Großindustrie hierzulande, deren Millionengehälter anscheinend als Weichmacher für ihr Rückgrat wirken. Den jüngsten Vogel schossen die Verantwortlichen im Daimler-Konzern ab. Erst nutzten sie ein harmloses Bonmot des Dalai Lama für eine Online-Werbung: „Betrachte Situationen von allen Seiten und Du wirst offener“. Nachdem die Chinesen, die Tibet seit 1950 völkerrechtlich umstritten besetzt halten, sich wie üblich bei jeder Erwähnung des Friedensnobelpreisträgers beleidigt zeigten, löschten die um ihre Geschäfte bangenden Deutschen nicht nur die Werbung, sondern machten öffentlich und diplomatisch so einen tiefen Kotau, dass es einem wirklich schlecht werden konnte. Wer sagt diesen Herren mal, dass Unterwürfigkeit von Autokraten als Schwäche ausgelegt wird? Und dann noch Davos: Hier ließ sich die Crème de la Crème der deutschen und internationalen Industrie vom wahren Donald zu einer vom Fernsehen übertragenen, oberpeinlichen Lobhudelei hinreißen. Zur Linken des Präsidenten der kein Fettnäpfchen auslassende Josef Käser von Siemens, der sich Joe Kaeser nennt. Das ist jener Herr, der sich kurz nach der Krim-Besetzung durch Russland vor laufender Kamera bei Wladimir Wladimirowitsch Putin zum Hanswurst machte. „Kurzfristige Turbulenzen“ meinte er danach entschuldigend zur Krim-Krise, die nur leider bis heute kurzfristig ist. Und damit komme ich endlich zu den Life Sciences. Herr Käser möchte jetzt nämlich Kasse machen und 15 bis 25 Prozent seiner Medizintechnik-Sparte an die Börse bringen. Ein Emissionserlös von 8 bis 10 Mrd. Euro wird erwartet. Im Vorfeld spricht man mit potentiellen Investoren, darunter dem Vernehmen nach auch chinesische Staatsfonds. Ob der kindische Name „Siemens Healthineers“, eine Schöpfung der Käser-Ära, dabei hilfreich ist?
Zukunftsglaube
Zum Glück gibt es immer wieder weitblickende Menschen, die in die Zukunft investieren. Ganz neu ist eine Initiative aus Dänemark, die zunächst 135 Mio. Euro in vielversprechende Biotech-Entwicklungen investieren will. Das „Repair“ getaufte Programm wird ein großes Thema auf der kommenden „Berlin Conference on Life Sciences“ sein, die am 2. März in der deutschen Hauptstadt stattfindet. Ein ausführliches Interview mit den Novo-Initiatoren findet sich in der Frühjahrs-Ausgabe unseres Schwester-Magazins „European Biotechnology“, die in wenigen Tagen erscheint.
GroKo
Eigentlich soll man als seriöser Schreiber die Abkürzung GroKo für Große Koalition vermeiden, da diese den Ernst der Sache verniedliche. Stimmt, ernst ist das schon, was da als Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt. Die Sozialpolitik dominiert, Wirtschaftspolitik ist weitgehend Fehlanzeige. Die freie Entfaltung der Unternehmen und Bürger liegt dem großen Krokodil nicht am Herzen, stattdessen noch mehr Regeln und Vorschriften. Umverteilung statt Marktwirtschaft, Rückwärtsgewandtheit statt Zukunftsoffenheit. Biologisierung der Industrie? Wir Biotechnologen sind Optimisten, trotz alledem!