Wagemut & Weitsicht
Das darf doch einfach nicht wahr sein. Im vergangenen Jahr wurde weltweit so viel CO2 in die Atmosphäre gepumpt wie nie zuvor. Und das nach jahrzehntelangen Verhandlungen in Kyoto, Paris oder wo auch immer. Gletscher und Pole schmelzen, Wirbelstürme, Fluten und Hitzwellen verheeren das Land, Millionen Arten sterben aus – die Menschheit wirtschaftet den Planeten nach Strich und Faden zugrunde.
Die Medien sind voll von Horrorberichten, Schüler gehen auf die Straße, die Kapitalmärkte steuern langsam um, nur unsere Politiker kämpfen zumeist die Kämpfe von vorgestern und eine zentrale Gruppe bewegt sich gar nicht: wir Otto Normalbürger. Absatzrekorde bei SUV, und natürlich fliegen wir in den Urlaub. Über dieses Paradoxon habe ich im Frühjahr mit dem Wiener Humanökologen Helmut Haberl ein Gespräch geführt, das im neuen BioTechnologie Jahrbuch 2019 abgedruckt ist – eine Kostprobe finden Sie, liebe Leser, auf Seite 55.
Bleiben wir in diesem Zusammenhang noch kurz bei der Wirtschaft. Der langsam, aber sicher steigende öffentliche Klimadruck führt zu ganz winzigen Rissen im Fundament der Fossilimperien, die unsere Wirtschaft seit 150 Jahren dominieren. Jetzt ist die große Zeit der falschen Propheten und Quacksalber, die mit Halbheiten wie E-Mobilität, Plastik-Recycling oder CO2-Verpressung (CCS) an den Symptomen herumdoktern, damit wir nur ja nichts Grundlegendes ändern müssen. Doch was sagte die Epidemiologin Sabine Gabrysch vor einiger Zeit dem Spiegel: „Wo liegt unsere Priorität? Wo stecken wir unsere Energie, unsere Kreativität und unser Geld rein? ... Heute brauchen wir eine massive Mobilisierung aller Kräfte der Gesellschaft, um diese Krise zu meistern. Die ökologischen Grenzen unseres Planeten sind nicht verhandelbar. Unser Wirtschaftssystem, unser Verhalten – das ist veränderbar.“ Wenn denn die Zeit dafür noch reicht.
Neben der gruseligen Ausgangslage gibt es für unseren Wirtschaftsstandort aber auch eine positive Seite der Medaille: Während die Welt unsere Autos sicherlich nicht mehr braucht, steigt die Nachfrage nach wirklich nachhaltigen Innovationen. Mitteleuropas Techniker und Tüftler finden bestimmt neue Lösungen und Produkte, die das alte Öl auch wirklich alt aussehen lassen. Es wäre Aufgabe der Regierung, für Marktzugänge zu sorgen. Ein Beispiel? Die Flugbranche hat aufgrund ihres CO2-Fußabdrucks schon jetzt ein massives Imageproblem („Flugscham“) und fordert selbst, auf herkömmliches Kerosin eine Steuer zu erheben, während neue CO2-neutrale Kraftstoffe steuerfrei blieben. Die Lufthansa hat schon vor Jahren in einem Betriebstest bewiesen, dass ihre Jets Algenkerosin problemlos schlucken. Da könnte ein ganz neuer Wirtschaftszweig entstehen. Könnte, denn die mächtigen Fossilimperien wehren sich effektiv.
In der aktuellen CO2-Diskussion fällt aber noch etwas anderes unangenehm auf: Aus allen möglichen Branchen werden mehr oder weniger sinnvolle Lösungsvorschläge vorgetragen. Von der Biotechnologie hört man jedoch wenig bis nichts. Vor 30 Jahren zur Zukunftstechnologie hochgejubelt, ist es jetzt merkwürdig still. In der Pharmabranche hat sie sich durchgesetzt, doch was bietet die Industrielle Biotechnik? Ein Blick zur EFIB könnte sich lohnen, Brüssel vom 30. September bis 2. Oktober.
Aber wo sind die Gründer? Was wir jetzt brauchen, sind wagemutige Jungspunde und weitsichtige Geldsäcke, die in der Krise auch eine, ihre Chance sehen!