Fastfood aktiviert das Immunsystem chronisch
Erst seit kurzem ist bekannt, dass das angeborene Immunsystem nicht vergisst. Infiziert uns ein Erreger, bleibt die erste Verteidigungslinie des Körpers in Alarmbereitschaft und bildet eine Art immunologisches Gedächtnis (trained immunity). Bisher sah es so aus, als werde diese Art des Immungedächtnisses nur gegen Infektionserreger, Gifte oder andere schädliche Antigene eingesetzt. Jetzt fanden Bonner Immunologen um Eicke Latz aber heraus, dass Fastfood die Zellen des angeborenen Immunsystems dauerhaft reprogrammiert. In Mäusen, die für nur vier Wochen die fett- und kalorienreiche „westliche Diät“ erhielten, wurden dadurch Vorläuferzellen von Granulozyten und Monozyten epigenetisch dauerhaft so modifiziert, dass sie fortan eine verminderte Aktivierungsschwelle bei Anwesenheit immunologischer Reize zeigten – und das, obgleich die Nager längst wieder das bewährte vegetarische Futter erhielten. „Die resultierende immunologische Hyperreaktivität ist ein Riesenproblem“, findet Latz, „denn sie begünstigt die Entstehung weitverbreiteter Zivilisationskrankheiten mit Entzündungskomponente.“ – Diabetes, Atherosklerose sowie nachfolgend Herzinfarkt und Schlaganfall. Immerhin ein Viertel der Deutschen essen mindestens einmal pro Monat bei McDonald‘s & Co.
Tatsächlich bergen die in Cell publizierten Ergebnisse gesundheitspolitischen Sprengstoff: „Die Grundlagen für eine gesunde Ernährung müssen in der Bildung eine viel größere Rolle spielen als heute“, stellt der Leiter des Instituts für angeborene Immunität klar. Nur so können wir Kinder frühzeitig gegen die Versuchungen der Lebensmittelindustrie immunisieren.“ Und weiter: „Wir sollten ihnen ermöglichen, bewusste Entscheidungen über ihre Ernährungsgewohnheiten zu treffen.“ Dazu sucht der Wissenschaftler den Schulterschluss mit der Politik. „Am besten man beugt schwer zu behandelnden Krankheiten wie Diabetes vor. Gesundheitsaufklärung bereits in der Schule könnte hier viel bewirken“, so Latz.
Doch noch weigert sich der bis zur Regierungsbildung verantwortliche Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU), eine Steuer auf erwiesenermaßen ungesunde Lebensmittel einzuführen. Eine Ende November 2017 veröffentlichte Studie im Auftrag der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Adiopositas Gesellschaft ergibt, dass eine Staffelung der Mehrwertsteuer, orientiert an der sogenannten Lebensmittelampel, wirkungsvoll wäre. Doch trotz einer heranwachsenden Generation XXL mit 3,5 Millionen übergewichtigen und 8% adipösen Kindern und Jugendlichen winkt der industriegeneigte Schmidt ab: zu hoher „Verwaltungs- und Kontrollaufwand“, heißt es offiziell. „Für Süßwaren stehen hundertmal mehr Werbegelder zur Verfügung als für Obst und Gemüse“, widerspricht Dr. Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der DDG. „Der Versuch der Gesundheitspolitik, mit Information und Aufklärung dagegenzuhalten, ist kläglich gescheitert. Ihr Budget beträgt noch nicht einmal 1% allein der Süßwarenwerbung. Dieser massiven Beeinflussung des Konsumentenverhaltens ein Korrektiv entgegenzusetzen, ist keine Bevormundung, sondern notwendige Gefahrenabwehr und klassische Aufgabe des Gesetzgebers.“
Eingebauter Fastfood-Sensor
Doch zurück zu den Ergebnissen von Latz und Erstautorin Anette Christ: In Mausmodellen für Atherosklerose fanden sie in Nagern, die sie vorübergehend auf eine vierwöchige „westliche“ Fastfoodkur gesetzt hatten, während der Diät eine systemische Entzündung mit dauerhaftem Anstieg der Zahl an Granulozyten und Monozyten im Blut. Die Entzündung verschwand gleich nach Umstellung auf normales Futter. Was aber blieb, war eine dauerhafte epigenetische Reprogrammierung und immunologische Aktivierung entsprechender Vorläuferzellen im Knochenmark. Offenbar erkennt das angeborene Immunsystem nicht nur Pathogene, sondern auch Fastfood als Gefahr und speichert diese ab.
Die voraktivierten Vorläuferzellen zeigten immunologische Hyperreaktivität nach experimenteller Exposition gegenüber Antigenen. Erstaunlicherweise reagiert das angeborene Immunsystem ganz ähnlich auf Fastfood wie auf Infektionen: mit einer Typ-I-Interferonantwort und Expression des entzündungsfördernden Botenstoffs Interleukin-6 (IL-6).
Von bakteriellen Infektionen wussten die Wissenschaftler, dass ein zentraler Regulator – das NLRP3-Inflammasom – die Alarmglocken des angeborenen Immunsystems läutet und proinflammatorische Zytokine ausschüttet. Analysen ergaben, dass Progenitorzellen von Mäusen, die Fastfood erhalten hatten, Veränderungen in den Inflammasomen zeigen, die die Fastfood-induzierte immunologische Hyperreaktivität erklären. Diese betreffen das Inflammasom-Adapterprotein ASC und IL-1-RAP, das normalerweise die Interleukin-1 (IL-1)-vermittelte Signaltransduktion hemmt und Entzündungsreaktionen mildert. In den voraktivierten Mausimmunzellen fand sich dagegen viel IL-1. Entsprechend vermuten die Immunologen, dass IL-1b das Bindeglied zwischen Fastfood, dem Inflammasomen-Gefahrensensor und der Voraktivierung der Immunzellen ist. Bei Infektionen spricht dafür, dass die Mortalität in Mäusen sank, wenn diese zuvor einen IL-1b-Inhibitor gespritzt bekamen. Er verlangsamte auch die Vermehrung der Immunvorläuferzellen.
Allerdings ist dies nur ein erster Hinweis darauf, wie sich der entzündliche Phänotyp, der auch Volkskrankheiten wie Alzheimer begünstigt, möglicherweise medikamentös kontrollieren ließe. Denn die Aktivität des NLRP3-Inflammasoms wird von einer Vielzahl von Signalen gesteuert, die auf Infektionen, Verletzungen, Zellstress oder Reizungen hinweisen. Die Herausforderung ist nun, zu verstehen, wie das Inflammasom eine In vivo-Antwort hervorruft, die je nach Aktivierungssignal angemessen ist.
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