Mit Daten gegen Krebs
transkript. Herr Professor Juhl, Indivumed ist für viele noch immer eine Gewebebank im hohen Norden, aber in 20 Jahren Bestehen wird sich Ihr Geschäftsmodell wohl gewandelt haben.
Hartmut Juhl. Diese Sammlung von Patientenproben war nie ein Selbstzweck, sondern die grundsätzlich notwendige Basis. Unser Ansatz und der ganze Antrieb war immer, dass wir aus den Probenmaterialien der Krebspatienten neue Erkenntnisse gewinnen können, die Krankheit besser verstehen lernen – und dass wir für die Medikamentenentwicklung wichtige Beiträge liefern können. Das hat sich in den 20 Jahren überhaupt nicht geändert.
transkript. Aber etwas muss sich ja schon geändert haben, weil Sie nun sagen, dass Sie mit viel größeren Schritten vorankommen?
Hartmut Juhl. Absolut. Hier gibt es aktuelle Veränderungen und Dinge, die Sie in den vergangenen Jahren ganz anders technologisch umgesetzt vorfinden als in den Zeiten davor. Gerade im vergangenen Jahr ist viel passiert mit unserer Datenbank. Wir konnten diese stark ausbauen, also weitere Mulitomics-Daten-Analysen hinzufügen. Und wir haben unsere gesamte Bioinformatik in einer Plattform „nRavel®“ gebündelt. Zudem haben wir uns so aufgestellt, dass wir die Drug-Targets nun auch biologisch validieren können. Da haben wir im Januar einen EU-Grant für diese Aufgabe bekommen, eine solche Wirkstoffplattform aufzubauen. Von den gleichen Patienten, von denen wir die Omics-Daten haben, können wir Zellen kultivieren und haben damit die Möglichkeit, die Datenanalytik direkt mit biologischen Effekten im gleichen System abzugleichen, ein großer Schritt zur Beschleunigung der Validierung.
transkript. Lassen Sie uns das noch mal genauer aufschlüsseln. Was für Materialien haben Sie?
Hartmut Juhl. Zwei Dinge machen unseren Ansatz besonders: Wir haben von jedem Patienten sowohl das Tumorgewebe als auch Normalgewebe. Und nur dieser unmittelbare Vergleich gibt einem wirklich die Sicherheit, ob man überhaupt ein sinnvolles Signal sieht und verfolgen sollte. Das haben wenige.
transkript. Sie gehen mit ganz verschiedenen Methoden vor. Was sehen Sie dann in diesen Proben?
Hartmut Juhl. Durch unsere langjährige, standardisierte Probengewinnung in der Biobank und unser Verfahren zur Konservierung können wir die Genetik anschauen (das können viele im Feld), RNA, Proteine und auch Phosphoproteine. Gerade Letzteres kann sonst kaum jemand. Wenn wir da einen Filter auf eine bestimmte Mutation legen, kommen wir über diese verschiedenen Layer immer enger und feiner auf die wirklich relevanten Veränderungen. Wenn wir die Veränderung beispielsweise auf RNA-Ebene sehen, können wir nachschauen, ob wir das auch auf Proteinebene sehen. Dann können wir nachforschen, ob die biologisch manifeste Veränderung auch korreliert mit klinischen Daten, beispielsweise der Überlebensrate durch jahrelange Nachverfolgung der Patienten – oder zeigt sich dieser direkte Zusammenhang gar nicht? Dann wird es nämlich meist schon sehr fragwürdig, ob dieses „Target“ von größerer Relevanz ist.
transkript. Und warum ist jetzt die richtige Zeit für die größeren Entwicklungsschritte auch für das Unternehmen?
Hartmut Juhl. Nun, wir alle sind erst seit wenigen Jahren in der Lage, diese ganze Datenmasse zu generieren und nun auch bioinformatisch zu analysieren. Das geht erst seit weniger als zehn Jahren. Die Cloudlösungen gibt es erst seit wenigen Jahren. Unser Servicegeschäft hat uns über diese Zeit getragen und uns in dem Segment profitabel gemacht. Das sind unter anderem Dienstleistungen zur Validierung von Targets, dazu auch Assay-Entwicklung für die Analyse interessierender Biomarker. Der Bereich ist gerade in letzter Zeit zweistellig gewachsen.
transkript. Also arbeiten Sie schon mit den großen Pharmafirmen zusammen und könnten es eigentlich auch dabei belassen?
Hartmut Juhl. Indivumed versteht sich ja selbst als Wirkstoffentwickler. Da wird mir oft dieser Target-Screening-Bereich zu sehr als Dienstleistung gesehen. Aber was ist denn wichtiger und im gesamten Entwicklungsprozess die Basis von einem werthaltigen Produkt, wenn nicht die Auswahl des besten Targets? Pharma lässt ihre Thesen schon bei uns validieren. Wenn wir dann unsere Ergebnisse präsentieren, wird schnell die Begehrlichkeit groß, diese Datengrundlage aufgedeckt oder zumindest viele weitere Daten dazuzubekommen. Doch bei dem Verständnis über die Werthaltigkeit dieser Daten gibt es in meinen Augen oft eine latente Unterbewertung.
transkript. Können Sie diesen Wert nochmal klar benennen?
Hartmut Juhl. Unsere Technologieplattform schafft eine sehr starke Eingrenzung der möglichen Tausenden von Targets. Auch die Fragestellung, ob dieses Target drugable ist und mit welcher Methode, diese ganze biologisch-pharmakologische Klassifizierung, fließt auch noch automatisch in unserem Datenpaket dazu. Aus einer hochqualitativen Gewebeprobenbank, angereichert um die Möglichkeit, daraus auch kultivierbare Zellen des gleichen Patienten für die biologischen Tests zu verwenden. Zusätzlich finden wir mit unserer Methode auch all die heute gängigerweise untersuchten Targets, – aber wir sehen eben noch sehr viel mehr darüber hinaus und sehen die echte Relevanz des Targets im Gesamtzusammenhang. Es gibt niemanden, der das anbieten kann, weil andere diese Gewebeprobenqualität nicht haben.
transkript. Welche Omics sind denn besonders wichtig?
Hartmut Juhl. Genomische Analysen spielen sicherlich eine untergeordnete Rolle in der Zukunft. Diese Daten sind vorhanden, man braucht nicht noch x Krebs-Genome, es geht nun um die zellbiologische Relevanz. Die Gendatenbanken kommen schnell an die Grenzen, wenn man auf die Proteinebene will.
transkript. Ob man also in Deutschland oder anderswo Genome sequenziert, halten Sie nicht für so wichtig?
Hartmut Juhl. Wir arbeiten unter anderen eng mit Kooperationspartnern in Kalifornien, in Griechenland und in der Schweiz, die Daten fliegen um den Globus. Wo damit etwas gemacht wird, ist relativ egal. Das wichtige ist die Kompetenz in der Sequenzierung, die Datenqualität und die medizinisch-klinische Korrelation.
transkript. Wo geht es nun genau hin?
Hartmut Juhl. Wir wollen nicht zu jedem Target ein Spin-out machen. Manchmal ist es auch so, dass wir bereits zugelassene Medikamente identifizieren, die in einem neuen Zusammenhang gesehen werden sollten, das so genannte Repurposing. Wir können dazu einen absolut validen neuen Kontext liefern.
transkript. Aber für die Eigenentwicklung brauchen Sie viel neues Geld, oder?
Hartmut Juhl. Unser Proof of Concept soll uns möglichst mit Bordmitteln gelingen und dann sollte es einfach werden, die weiteren Schritte zu finanzieren. Eigentlich ist genau jetzt die beste Gelegenheit, sich unser Modell tiefgehend anzusehen und einzusteigen, denn wenn wir erfolgreiche Wirkstoff-Kandidaten in die Klinik bringen, ist der Drops ja schon gelutscht.
Dieses Interview wurde der aktuellen Ausgabe von |transkript entnommen.