Mooszellen bestehen Eignungstest
transkript. Herr Frischmuth, einer der Investoren Ihrer Firma hat begeistert verkündet „Greenovation gelingt der Durchbruch“. War die Phase I-Studie wirklich so riskant?
Frischmuth. Es stimmt, der ZFHN Zukunftsfonds Heilbronn setzt große Stücke auf unsere Technologie. In unserer Pressemitteilung haben wir das Wort Durchbruch zwar nicht erwähnt, aber nichtsdestotrotz sind wir unheimlich stolz, dass die Daten aus der Studie so positiv sind. Man darf nicht vergessen, dass es sich ja um ein völlig neues Expressionssystem handelt. Es hätte auch unerwartete Probleme geben können. Glauben Sie mir, ich war ganz schön nervös bezüglich dieser Studie.
transkript. Greenovations Leitkandidat ist moss-aGal, eine Enzymersatztherapie zur Behandlung von Patienten mit Morbus Fabry, einer seltenen lysosomalen Speicherkrankheit. Wie hat sich aGal in der Studie geschlagen?
Frischmuth. Das Medikament wurde in Kliniken in Mainz und Budapest als Einmaldosis mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 28 Tagen an sechs Patienten getestet. Es wurden keine Nebenwirkungen und eine gute Verträglichkeit festgestellt. Bei allen Studienteilnehmern wurde eine Verringerung der Menge der Fettsäure Globotriaosylceramid (Gb3) im Morgenurin gemessen, was auf eine gute Wirksamkeit des Enzyms, der sogenannten aGalactosidase A (aGal), hinweist. aGal hilft beim Abbau von Gb3. Sammelt sich die Fettsäure ungehindert an, kann dies zu chronischem Nierenversagen, zur Schädigung des Herzens und zu einer Beeinträchtigung der Blutversorgung des Gehirns führen.
transkript. Wie häufig kommt die Krankheit vor?
Frischmuth. Man geht heute davon aus, dass bei etwa 1 von 10.000 Personen Morbus Fabry vorliegt. Das ist deutlich häufiger als noch vor ein paar Jahren gedacht. Bei Frauen wird die über das X-Chromosom vererbte Krankheit meist erst spät entdeckt. Bei Männern passiert dies meistens schon Mitte 20, wenn sie beim Nephrologen auftauchen. Leider ist dies in beiden Fällen für eine asymptomatische Stabilisierung der Niere schon zu spät. Beginnt man bei Jungen die Enzymersatztherapie im Alter von 16 Jahren, können sie sorgenfrei leben.
transkript. Jetzt gibt es aber bereits Enzymersatztherapien am Markt. Was macht moss-aGal so besonders?
Frischmuth. Wir haben zwei Ansätze, um Marktanteile zu gewinnen. Zum einen werden unsere Produktionskosten geschätzt nur ein Zehntel der Kosten der Produktion in CHO- oder Fibroblastenzellen betragen. Hier können wir die Wettbewerber Shire und Sanofi preislich unterbieten. Wichtiger ist aber, dass unser Enzym nicht nur ein Biosimilar, sondern ein Biobetter ist. Durch die gezielte genetische Veränderung der Mooszellen haben wir ein Glykosylierungsmuster bei aGal erreicht, von dem wir überzeugt sind, dass es eine schnellere Aufnahme des Enzyms in die Zielzellen, die Endothelzellen der Niere, ermöglicht. Wir konnten dies bereits im Tiermodell nachweisen, jetzt steht der direkte Vergleich mit einem der am Markt verfügbaren Enzyme an. Nach Rücksprache mit den entsprechenden Behörden können wir wahrscheinlich demnächst direkt eine Phase II/III-Zulassungsstudie beginnen.
transkript. Parallel zu Greenovation will die israelische Firma Protalix Biotherapeutics auch ein neues Morbus-Fabry-Biobetter anbieten ...
Frischmuth. Stimmt. Protalix hat übrigens 2012 die US-Zulassung für das Enzym Taliglucerase alfa erhalten – damals war das die erste Zulassung für ein pflanzenzellbasiertes Protein überhaupt. Als Elelyso kommt das Enzymersatztherapeutikum bei Patienten mit Gaucher-Krankheit vom Typ 1 zum Einsatz. Allerdings war die Ausbeute bei Protalix‘ System nicht sehr hoch. Bei der Antikörperproduktion ist unser Moossystem bei Ausbeuten von 0,8 g bis 1 g pro Liter, also im Bereich von normalen CHO-Zellen. Bezogen auf therapeutische Enzyme erreichen wir sogar eine höhere Ausbeute als bei der Produktion in Säugerzellen.
transkript. Protalix‘ Elelyso wird interessanterweise in Möhrenzellen hergestellt. Die biotechnologische Herstellung von Arzneien in Pflanzen scheint ein exotisches Arbeitsgebiet zu sein.
Frischmuth. Die Moos- und die Möhrenzellen können in Fermentern wachsen. Andere Ansätze mit Pflanzenzellen sind da deutlich komplexer. Um die Jahrtausendwende kamen etliche Start-ups auf, die auf Pflanzenzellen basierende Produktionssysteme kommerziell verfügbar machen wollten. Molecular Pharming war das Schlagwort. Der Hype hat sich mittlerweile abgekühlt und übrig geblieben sind neben unserer Moos-Plattform eigentlich nur ein paar auf Tabak spezialisierte Firmen. Zu nennen wäre hier Plantform aus Kanada, die mit ihrer Vivoxpress-Plattform Biosimilar-Antikörper herstellen wollen, und die japanische Denka-Gruppe mit der deutschen Tochterfirma Icon Genetics. Das Handling der Tabakpflanzen mit ihren Wachstumskammern ist aber deutlich komplizierter als unser Ansatz. Anders als bei den Tabak-Technologien setzen wir nicht auf die transiente Expression der Proteine. Wir machen Zelllinien, bei denen die genetische Information stabil in das Moosgenom integriert wurde. Wie bei mikrobiellen oder Säugerzelllinien arbeiten wir mit einer Master Cell Bank, aus der wir Starterkulturen für die Fermenter nehmen. Spannend ist, dass ganz im Gegensatz zu höheren Pflanzen beim Moos genetisches Material ohne großen Aufwand über den Prozess der homologen Rekombination in die Chromosomen überführt werden kann. Das vereinfacht die zielgerichtete genetische Veränderung.
transkript. Jetzt, wo der Konzeptbeweis geglückt ist: Was kommt nach aGal?
Frischmuth. Unser zweites Produkt, für das wir die Präklinik abgeschlossen haben, ist der Komplementfaktor H. An dem komplexen und schwer herzustellenden Glykoprotein haben sich bereits viele die Zähne ausgebissen. Als bisher einzige Firma konnten wir in einem Mausmodell die Wirksamkeit nachweisen. Neben seltenen Leiden wie C3-Glomerulopathien könnten wir mit dem Protein auch Massenleiden wie die altersbedingte Makuladegeneration adressieren. Spätestens nächstes Jahr wollen wir mit dem Produkt in klinische Tests.
transkript. Die Produktion großer Mengen ist also kein Problem?
Frischmuth. Nein. Im Bereich seltene Leiden braucht man nur geringe Therapeutika-Mengen. Mit einer Gesamtkapazität von bis zu 5.000 Litern können wir den Markt bereits problemlos bedienen. Beim Komplementfaktor H planen wir mit einer Kapazität von 20.000 bis 30.000 Litern. Perspektivisch ist auch die Hochdurchsatzproduktion von therapeutischen Antikörpern denkbar. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich das Moossystem neben den bestehenden Technologien etablieren wird.
Erschienen in |transkript 1-2/18.