Pfizer setzt Biontech auf Grippevakzine an
„Wir haben von den Biotech-Start-ups in den USA gelernt, wie man schnell wachsen kann“, sagt Marett. „Wenn wir das nicht tun, dann werden uns unsere Konkurrenten überholen. Wir bei Biontech haben keine Angst, weiter zu wachsen.“ Das Management der Biontech AG hat diese Philosophie augenscheinlich erfolgreich verinnerlicht. Mit mehr als 750 Mitarbeitern ist der Wirkstoffentwickler eines der größten Biotechnologieunternehmen Deutschlands und in Europa die größte nicht-börsennotierte Biopharma-Firma. Zu den Geldgebern gehören das Strüngmann Family Office, Finanzinvestoren wie Fidelity, Invus, Salvia, die MIG-Fonds, Redmile und Janus Henderson sowie die Pharmafirma Eli Lilly & Co. (USA) als strategischer Investor. Nach der Mitte August vorgestellten Impfstoff-Kooperation ist mit Pfizer Inc. nun eine zweite US-Pharmafirma an Biontech beteiligt. Der Wachstumskurs dürfte somit unbeirrt beibehalten werden.
transkript. Herr Marett, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu dieser Forschungskooperation. Bisher lag der Fokus bei Biontech ja eindeutig auf Krebserkrankungen. Folgt man bei Biontech jetzt dem Beispiel der Tübinger Curevac AG und setzt auf Infektionskrankheiten als zweites Standbein?
Marett. Der Mechanismus des Immunsystems ähnelt sich bei Krebs und Infektionskrankheiten und wir wollen die vorhandenen, großen Synergien nutzen. Egal, ob man ein Bakterium, ein Virus oder eine Krebszelle angreift – wir nutzen ähnliche Moleküle, um das Immunsystem aufzuwecken. Unsere Arzneimittelkandidaten auf mRNA-Basis basieren auf einer ausgereiften Technologie. Curevac nutzt in der Tat eine RNA-Technologie für beide Anwendungsbereiche, aber es ist nicht so, dass wir das Potential unserer Technologie im Kampf gegen Infektionskrankheiten vernachlässigt hätten. Unser erster Schritt bei den Antiinfektiva war die Zusammenarbeit mit der Bayer AG im Bereich Tierimpfstoffe. Wir haben damit 2016 begonnen und das Projekt läuft aus unserer Sicht wunderbar. Was wir in dem Projekt an Erkenntnissen gewinnen, dürfen wir bei den Humanimpfstoffen nutzen. Und wir haben einiges dazugelernt!
transkript. Zum ersten Mal beteiligt sich mit Pfizer ein Pharmakonzern direkt an der Muttergesellschaft Biontech AG. In welcher Höhe?
Marett. Im Rahmen der mehrjährigen Forschungs- und Entwicklungskooperation erhält Biontech 120 Mio. US-Dollar in Vorauszahlung, Kapitalinvestment und zeitnahen Forschungsinvestitionen. Dazu kommen entwicklungsabhängige regulatorische und kommerzielle Meilensteinzahlungen von bis zu 305 Mio. US-Dollar – und Umsatzbeteiligungen im maximal zweistelligen Prozentbereich. Wie sich die Beträge im Einzelnen aufschlüsseln, tragen wir nicht nach außen.
transkript. Bei der erfolgreich abgeschlossenen Serie A-Runde Anfang des Jahres geht das Finanzportal Dealroom von einer Bewertung von 2,3 Mrd. USD-Dollar von Biontech aus. Zu welcher Bewertung ist Pfizer eingestiegen?
Marett. Diese Zahl möchte ich nicht kommentieren. Pfizer ist weitgehend zu den Serie A-Konditionen eingestiegen – allerdings zu einer anderen Bewertung.
transkript. Sanofi Pasteur, Seqirus und GSK gehören bei Grippeimpfstoffen zu den Marktführern. Warum ist die Kooperation ausgerechnet mit Pfizer zustande-gekommen?
Marett. Pfizer ist noch nicht im Bereich Grippeimpfstoffe aktiv und will in diesen Markt einsteigen. Wir haben das Gefühl, dass Pfizer sehr motiviert ist und eng mit uns kooperieren möchte. Das derzeit umsatzstärkste Produkt Pfizers ist der Pneumokokken-Impfstoff Prevnar 13. Schon bei seiner Einführung vor knapp zehn Jahren war die Firma ein Innovationsführer. Ich gehe daher nicht grundlos davon aus, dass Pfizer keine Angst hat, mit einer neuen Technologie ein weiteres Mal Wegbereiter zu sein.
transkript. Was verspricht man sich von RNA-Impfstoffen?
Marett. Derzeit werden Grippevakzine mit Hühnereiern hergestellt. Das ist ein teurer, sehr langer und starrer Prozess. Mit mRNA hat man die Möglichkeit, die Bevölkerung schnell gegen eine sich in Ausbreitung befindliche Pandemie zu schützen. Und das zu vertretbaren Kosten. mRNA lässt sich schnell in großen Mengen herstellen. Außerdem sind die verfügbaren Vakzine aus verschiedenen Gründen nicht 100% effektiv. Die Wirksamkeit lässt insbesondere bei Kindern und bei älteren Menschen zu wünschen übrig. Das liegt teilweise an der Herstellung in den Hühnereiern. Wenn man das Grippevirus in das Ei injiziert, dann kann es sich noch einen Tick verändern und weicht somit von dem von der Weltgesundheitsorganisation bestimmten Zielvirus, gegen das der Impfstoff wirken soll, ab. Mit unserer Technologie passiert das nicht.
transkript. Wie ist die Aufgabenverteilung zwischen Biontech und Pfizer? Wie ist die Produktion der Vakzine geregelt?
Marett. Biontech ist für die Durchführung einer ersten klinischen Humanstudie zuständig. Das schließt natürlich auch die Produktion der Impfstoffe ein. Ist die Studie abgeschlossen, wird Pfizer die alleinige Verantwortung für die weitere Entwicklung übernehmen. Für diesen Fall haben wir mit Pfizer auch die Zukunft der Impfstoffproduktion verhandelt, dürfen darüber aber nichts nach außen geben. Klar ist in jedem Fall, dass Pfizer sich auch für die Zusammenarbeit mit uns entschieden hat, weil wir die Expertise zur mRNA-Herstellung im Hause haben.
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