Sequenziere, wer kann
Nur 0,1% der Tier- und Pflanzenarten der Erde ist sequenziert. Geht es nach den Initiatoren des Projektes Earth Biogenome (EBP), dann liefern die in den Genomen der restlichen Arten verborgenen Informationen Treibstoff für eine weltweit florierende biobasierte Wirtschaft. Als willkommener Nebeneffekt würden die Erkenntnisse dabei helfen, die Biodiversität der Erde besser zu verstehen und zu schützen. Auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Ort Davos verkündete das EBP die Zusammenarbeit mit der Initiative Earth Bank of Codes. Hinter dieser (und der Amazon Banks of Codes) steckt der peruanische Unternehmer Juan Carlos Castilla-Rubio. Ähnlich wie beim Nagoya-Protokoll geht es ihm um den Ausgleich zwischen dem Zugang zu und dem Nutzen aus Biodiversität (Access and Benefit Sharing, ABS). Im Gegensatz zum Nagoya-Protokoll, bei dem noch unklar ist, wie mit digitalen Sequenzinformationen umgegangen werden soll (siehe Hintergrund), ist bei der Earth Bank of Codes digital Trumpf. Jeglicher Datensatz soll so hinterlegt werden, dass immer ersichtlich ist, wer gerade mit welchen Daten an welchem Projekt arbeitet. Logisch, dass hier die Blockchain-Technologie zum Einsatz kommen soll. An etwaigen Gewinnen kommerzieller Akteure würde dann das Ursprungsland automatisch teilhaben.
4,7 Mrd. US-Dollar gesucht
Die Sequenzierung aller geschätzt 1,5 Millionen Arten von Eukaryoten, also neben Tieren und Pflanzen auch Pilzen und vielen Einzellern, dürfte 4,7 Mrd. US-Dollar kosten. Noch gibt es für das EBP keine konkreten Finanzierungszusagen, aber vielleicht ändert sich das nach dem Auftritt im Schweizer Kurort.
Während alle Aufmerksamtkeit auf diesem ambitionierten Projekt der Universität Davis in Kalifornien (USA) lag, nahm Anfang des Jahres ein deutsches Zentrum die Arbeit auf, dessen Stoßrichtung der des EBP stark ähnelt. „Die ersten Mitarbeiter sind eingestellt und einige der 21 Projekte schon angelaufen“, so Axel Janke gegenüber |transkript. Janke arbeitet für die Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung und ist Professor am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit vergangenem Jahr ist Janke zudem Leiter des neuen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG), das vom Bundesland Hessen über landeseigene LOEWE-Förderprogramm mit 17,6 Mio. Euro finanziert wird. „Während viele Initiativen derzeit eher Plattformen sind, die Ideen und Forscher zusammenbringen, haben wir den Vorteil, dass wir die Genomsequenzierungen auch tatsächlich finanzieren können“, sagt Janke. Das thematische Spektrum ist groß. So sollen zum Beispiel Tiergifte als eine Ressource für neue Wirkstoffe systematisch charakterisiert werden. Bisher wurden 5.000 solcher Toxine untersucht und es gibt 16 darauf basierende Medikamente. Da die 170.000 bekannten Gifttiere aber mehr als 20 Millionen in Frage kommende Substanzen produzieren, ist das zu hebende Potential riesig. Bei einem anderen der 21 Projekte wird erforscht, wie bestimmte Naturstoffe hergestellt werden. „Hier gibt es zum Beispiel auch bei Eukaryonten ganze Batterien von Genen, die sich wie Legosteine zusammensetzen lassen und die entstehenden Riesen-Proteine dann neue Naturstoffe produzieren können“, so Janke. Insgesamt werden in den kommenden sieben Jahren etwa 700 Genome von Flechten, Pilzen, Schnecken, Vögeln und Säugetieren sequenziert und analysiert. Nach der Aufarbeitung jüngst in der Natur gefundener oder in Museumssammlungen vorliegender Proben wird die eigentliche Sequenzierungsarbeit an die Biotech-Industrie ausgelagert. Damit sei man laut Janke in der Lage, von Jahr zu Jahr die jeweils besten verfügbaren Technologien zur Genomsequenzierung zu nutzen.
Nach Abschluss der Forschungsarbeiten sollen die Sequenzdaten für alle öffentlich zugänglich gemacht werden. „Wir haben uns freiwillig eine Frist auferlegt“, sagt der Leiter des LOEWE-TBG. „So wollen wir ein Jahr nach der Assemblierung des Genoms einer Art die Daten über bekannte Datenbanken öffentlich machen. Es soll nur ganz wenig Ausnahmen geben, zum Beispiel wenn nutzungsrechtliche Fragen noch geklärt werden müssen.“ Um die anfallenden Datenmengen zu beherrschen bekommt das LOEWE-TBG einen Rechnercluster, der so leistungsfähig sein soll, dass ein menschliches Genom innerhalb weniger Stunden statt wie derzeit üblich weniger Tage zusammengesetzt ist.
Neben der Senckenberg-Gesellschaft sind das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie IME sowie die Universitäten Gießen und Frankfurt am Main die Säulen des LOEWE-TBG. Im Laufe des Jahres wollen die Universitäten insgesamt vier neue Professuren einrichten, eine davon für Naturstoffgenetik. „Eine der anderen Professuren wird sich der Frage widmen, wie Biodiversität funktioniert“, skizziert Janke die Pläne. „Was ist Biodiversität eigentlich auf genomischer Ebene. Wie entstehen Arten? Da haben wir vieles noch nicht verstanden.“ Dass dieses Wissen direkte Handlungsempfehlungen liefern kann, weiß Janke aus eigener Erfahrung. Sein Team hatte 2016 zeigen können, dass es vier Giraffenarten statt nur einer gibt. Mittlerweile wurden in Afrika die Artenschutzanstrengungen angepasst.
Mit dem Earth Biogenome Project stehen die Forscher in Hessen in Kontakt. So werde man sich über die Arten abstimmen, die sequenziert werden sollen, um Dopplungen zu vermeiden. Ein schriftliches Abkommen zu einer tieferen Zusammenarbeit gebe es laut Janke aber noch nicht. Hier lote man noch die Chancen und Herausforderungen aus.
Erschienen in |transkript 3/18.