Spiel mit dem Feuer
Egal ob in Deutschland oder andernorts – die Reaktion von Wissenschaftsakademien und führenden Forschern war bemerkenswert einheitlich: „Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich, mit klinischen Anwendungen des Keimbahn-Editings fortzufahren“, heißt es. Die Gefahr von Fehlern sei einfach zu groß und die Sicherheit von Patienten nicht gewährleistet.
Noch herrscht das Gefühl vor, Forschern wie Jiankui nichts entgegensetzen zu können. Doch dass es nicht beim aktuellen Sanktionsvakuum bleiben kann, scheint auch politischen Entscheidern klar. „Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind ein Verstoß gegen die Grundrechtscharta der Europäischen Union“, stellt EU-Ratsmitglied George Ciamba Mitte Februar ungewohnt deutlich klar. Auch die unter Druck geratene chinesische Regierung regte sich: Alle klinischen Versuche, die auf eine genetische Veränderung menschlicher Embryonen abzielen, müssen nicht nur – wie von Jiankui pflichtschuldig getan – in Chinas Studienregister veröffentlicht werden. Seit Mitte April benötigen sie – genau wie in Belgien, das Keimbahneingriffe ausdrücklich gestattet – das positive Votum einer Ethikkommission.
Befristetes Moratorium
Mitte März reagierte auch die auf Akzeptanz der CRISPR-Technik bedachte Forschergemeinschaft: Angeführt von Emmanuelle Charpentier und Feng Zhang, ihres Zeichens Erfinder diverser CRISPR-Genscheren, forderten 18 prominente Biomediziner und Bioethiker ein auf fünf Jahre befristetes weltweites Moratorium für alle klinischen Versuche, die in die Keimbahn des Menschen eingreifen. Dass die Wissenschaftler – ähnlich wie der christdemokratische Europaparlamentarier Peter Liese – „Eingriffe in die menschliche Keimbahn generell unverantwortlich“ finden, ist trotz wortgewaltiger Proteste gegen Jankuis Vorgehen eher unwahrscheinlich. Denn in Nature forderte die Biomedizin-Prominenz die Schaffung eines weltweit gültigen Regelwerkes für klinische Anwendungen der CRISPR-Cas9-Technologie. Will man es also tun, sobald es sicher ist? Die von den Biomedizinern angeregte Diskussion über „wissenschaftlich und gesellschaftlich begründete Anwendungen“ der Technologie und „gesellschaftlichen Konsens über die Zulassung“ legen dies nahe.
Rechtliche Tücken
Laut Prof. Dr. Jürgen Taupitz, Experte für Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin an der Universität Mannheim, besteht international „Uneinigkeit … in der Frage, ob eine Keimbahnintervention aus kategorischen Gründen illegitim ist – etwa wegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde – oder ob nur pragmatische Gründe, wie das damit einhergehende Risiko für die geborenen Individuen, dagegensprechen.“ Das gilt selbst für Länder wie Deutschland, die Keimbahneingriffe gesetzlich verbieten, das Verbot aber damit begründen, dass die Folgen einer Keimbahnintervention für die Betroffenen „nicht absehbar“ seien. Der Deutsche Ethikrat sieht deshalb Handlungsbedarf und veröffentlichte nach Drucklegung dieser |transkript-Ausgabe Handlungsempfehlungen zur CRISPR-Keimbahnintervention (Bericht folgt). Zuvor hatte die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates klargestellt, dass sie wirksame Sanktionen vermisse, die Wissenschaftler zu Räson bringen könnten, die sich über ein Moratorium hinwegsetzen.
Bereits das von den Wissenschaftlern geforderte Moratorium scheint nicht überall leicht durchsetzbar. In Ländern ohne Verbot des Keimbahneingriffs etwa –wie den USA, Singapur oder Russland – ist es laut Taupitz nicht einfach, ein zeitlich begrenztes Verbot zu rechtfertigen.
Mitte März hatten sich erstmals die Mitglieder eines neuen 18-köpfigen Komitees der Weltgesundheits-organisation WHO in Genf getroffen, das bis Sommer 2020 Handlungsempfehlungen und international verbindliche Regeln für den klinischen Einsatz des Genome Editings erarbeiten soll. Ein erster Vorschlag sieht vor, eine Registrierungspflicht für alle Keimbahn-Forschungsprojekte mit der Genschere CRISPR zu etablieren sowie für alle klinischen Studien, bei denen somatische Zellen mittels Genome Editing genetisch modifiziert werden. Laut Ethikratsmitglied Alena Buyx, Vertreterin Deutschlands in dem WHO-Gremium, soll die Registrierung zunächst auf freiwilliger Basis erfolgen. „Allerdings haben wir empfohlen, dass sie künftig zur Bedingung für die Publikation in wissenschaftlichen Fachjournalen wird, sowie für die Förderung.“ Die WHO wird nun das Gespräch mit den Herausgebern und Förderorganisation suchen.
Erschienen in |transkript 02/2019