„Unbequeme Fragen stellen …“
Es erinnert an die Grüne Gentechnik: Chancenreich dargestellten Anwendungen der Gene-Drive-Technologie steht das potentielle ökologische Risiko der „Nichtrückholbarkeit“ aus der Natur entgegen. Allerdings ist die Kenntnis der Technologie bisher auf Fachkreise beschränkt. Grund genug für den Deutschen Ethikrat, das Thema auf die Agenda zu heben. Ende Oktober beleuchteten Experten rechtliche und ethische Bedenken, die später im breiteren gesellschaftlichen Diskurs abgewogen werden sollen – „unbequeme Fragen stellen“ war ein Ziel der Expertenanhörung.
Für eine Bewertung der Technologie ist es aus Sicht des Biologen und Technikfolgenforschers Arnim von Gleich allerdings noch ein wenig zu früh. Bislang könne man nur „Nutzenversprechen und Besorgnisgründe“ beurteilen. Für eine prospektive Technikfolgenbewertung brauche es zunächst eine SWOT-Analyse der Technologie, ihrer Einsatzgebiete und der Systeme, in die eingegriffen werden soll.
Ganz anders sah das die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser. Sie stellte sogar in Zweifel, dass die Bekämpfung von Hunger und Infektionskrankheiten die gezielte Ausrottung ganzer Arten legitimiere. Konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb die Dezimierung der Carrierinsekten ernster Tropenkrankheiten nicht wünschenswert sei, gab sie indes nicht. Aus Sicht der Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper müsse die Öffentlichkeit in Aushandlungsprozesse einbezogen werden, um Räume für die Artikulation „nicht nur rational geprägter Argumente, sondern auch intuitiv-wertender Haltungen zu schaffen“. Denn die Gene-Drive-Technologie sei „ein Eingriff in den Lebensalltag eines jeden Einzelnen“.
Summe der Extrempositionen gleich Aufklärung?
Die vom Ethikrat eingeladenen Wissenschaftler bedienten zunächst das ihnen oft unterstellte Klischee wenig kritischer Forschungsfreundlichkeit. Der Genetiker Nikolai Windbichler stellte Gene Drives als speziesspezifische, effektive Methode dar, mit der die Größe von Moskitopopulationen erheblich reduziert oder die Insekten so modifiziert werden könnten, dass sie Infektionskrankheiten wie Malaria nicht länger übertrügen. Kritisch merkte er an, dass die Technologie „weder permanent noch unaufhaltbar“ sei, denn modifizierte Moskitos können auch gegen Gene Drives resistent werden. Zudem arbeite die Sicherheitsforschung an Not-aus-Schaltern für Gene Drives. Marc Schetelig, Spezialist für Insektenbiotechnologie im Pflanzenschutz, stellte genetische Strategien zur Schädlingsbekämpfung als praktikable Alternative zu Insektiziden im Agrarsektor dar. Der postulierte Nutzen lasse sich aber mangels belastbarer Feldstudien noch nicht beziffern.
Eine fiktive Kosten-Nutzen-Abschätzung der Technologie nahm der Agrarökonom Justus Wesseler vor – Fazit: Die Beseitigung der Malariamücke durch Gene Drives sei zwar einfacher umzusetzen als eine Kontrolle der Übertragung von Malaria, man müsse aber bedenken, dass dem potentiellen Nutzen ökologische Folgekosten gegenüberstünden, die sich derzeit nicht abschätzen ließen.
Die Völkerrechtlerin Silja Vöneky empfahl, internationale Normen zu ergänzen, um Gene-Drive-Experimente und deren Nutzung rechtlich zu regeln.
In einer abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten zum Teil altbekannte Gesichter der Agarbiotech-Debatte den richtigen Umgang mit der Technologie, etwa Christoph Then (Testbiotech e.V.), dem deutsche Gene-Drive-Forscher unlängst öffentliche Verunglimpfung ihrer Forschung vorwarfen (vgl. |transkript 5/2017), und Joachim Schiemann (Julius Kühn-Institut), ein ausgewiesener Befürworter der Grünen Gentechnik. Beiden ist klar, dass sie ihre unterschiedliche Bewertung nicht ohne Beteiligung der Öffentlichkeit in die Politik tragen können und dass nur grenzüberschreitende Regelungsansätze geeignet sind, die Technologie wirksam zu kontrollieren. Neben Schiemann sprachen sich auch die DFG-Vizepräsidentin (und Malariaforscherin) Katja Becker sowie der WHO-Repräsentant Mathieu Bangert dafür aus, die interdisziplinäre Forschung zum Thema Gene-Drive voranzutreiben. Der Beachtung des in Europa politisch opportunen Vorsorgeprinzips soll dabei naturgemäß Vorrang eingeräumt werden.
Erschienen in |transkript 12/17.