2021 endet mit der 5. Corona-Welle und man kann sich fragen: Wie kommen wir aus dieser Endlosschleife wieder heraus? Aber was war eigentlich außer "C" noch relevant, interessant oder zumindest amüsant? transkript.de versucht eine subjektive Rückschau.
Edith Kwoizalla heißt die über 100-jährige Bewohnerin eines Pflegeheimes in Sachsen-Anhalt, die Ende Dezember 2020 als erste den Biontech-Pfizer-Impfstoff erhält und damit gefühlt das neue Jahr oder zumindest eine neu gedachte Zeitrechnung "nach der Pandemie" einläutet.
Im Dezember 2021 verbreitet die Hansestadt Bremen ein Bild auf Twitter, das eine Frau Witte zeigt, die angeblich die 100.000 Impfung erhalten habe. Offensichtlich haben die 99.999 vorher nicht wirklich viel genützt? Wer nur diese beiden Meldungen von der allerersten und dieser vermeintlich 100.000 Impfung mitbekommen haben sollte, weiß damit vielleicht schon genug über den Verlauf der C-Pandemie auch im zweiten Jahr.
Unter den Meldungen auf |transkript.de zeigt sich im Jahresverlauf 2021 ein klares Bild: Alle Nachrichten, die sich um Corona drehen, rangieren bei den Lese- und Klickraten wie auch schon 2020 deutlich über dem Durchschnitt. Ganz an der Spitze der am häufigsten aufgerufenen Meldungen stehen jedoch seit der zweiten Jahreshälfte insbesondere die über "alternative" Impfstoffe zu den milliardenfach verabreichten mRNA-Wundermitteln von Biontech und Moderna. Besonders der "Totimpfstoff" von Valneva hat offenbar eine riesige Fangemeinde, und das können nicht alles Fußballer sein wie der eigentlich auch bemitleidenswerte Joshua Kimmich vom FC Bayern, der seine eigene Impfskepsis öffentlich machte, selbst an Corona erkrankte und nach ermüdenden Diskussionen wohl schließlich doch ins Lager der Geimpften wechseln will.
Überhaupt, der Lagerkampf. Die Macht der Zahlen und Statistiken hat in diesem Jahr deutliche Schrammen bekommen. Jeder konnte aus jeder Zahlenreihe eine ganz eigene Interpretation schaffen, deren Widerlegung oft ein eigenes Mathematik- oder Statistikstudium erfordert hätte. Ob amtlich, politisch oder auch ungefärbt präsentiert, fast jedem Zahlenwerk hing schließlich der Makel an, dass die große Dunkelziffer an unerkannt Infizierten, die fehlerhaft im Schnellverfahren positiv Getesteten, die im laufenden Verfahren geänderte Berechnungsmethodik oder sonst eine schräge Argumentation der unbedingten Glaubwürdigkeit entgegenstand.
Selbst die realistischsten Schilderungen aus der ersten Kampfeslinie der klinischen Versorgung konnten sich dem Trend zur subjektiven Schrägeinschätzung nicht entziehen, etwa, dass eine ausgelastete Intensivstation von den kaufmännischen Direktoren auch als willkommen und geldbringend verbucht wurde. Die zunehmende Überlastung des Personals führt aber nun erst, in der mittlerweile 4. bis 5. Welle, bei Politikern und Mitbürgern zu mehr Verständnis für den Arbeitsalltag in den Kliniken.
Wir stecken noch immer mittendrin, täglich sterben an oder mit Corona derzeit mehr Personen als zum gleichen Zeitpunkt im 1. Corona-Jahr 2020 (wenn die RKI-Statistik richtig gelesen wurde). Und auch wenn es medial zu 99% überdeutlich immer ums Impfen geht, Unternehmen neue Impfslogans unter ihr Logo kleben, Krankenhäuser bunt angestraht werden: Der berühmte Werkzeugkasten erschöpft sich nicht nur in den Impfstoffen, die in Rekordzeit entwickelt wurden (und, so viel Einigkeit besteht hoffentlich, eine noch größere Katastrophe verhindert haben). Es gibt weitere Impfstoff-Varianten unterschiedlichster Herstellungsmethodiken – demnächst auch an die Omikron-Mutante angepasste oder mit Codagenix eventuell sogar ein allumfassendes, attenuiertes "Lebend"-Generalvakzin, schaun wir mal. Auf der Therapeutika-Seite hat sich ebenfalls viel getan: Wenn auch die EU meinte, sich eine einjährige Extraprüfung des Antikörpercocktails von Regeneron/Roche erlauben zu können. Auch diese Meldungen finden großes Interesse: wie denn die Biologicals, aber auch die Merck- oder Pfizer-Pillen im Wettlauf um die Zulassung stehen, wie die wackeren Innovatoren der deutschen Therapeutika-Biotechnologie-Szene vorankommen.
Doch vielleicht sind es traditionell-chemisch-pharmazeutische Substanzen, die das Virus eindämmen helfen: Die am besten wirksame Pille, Paxlovid von Pfizer, hat nun gerade die EU-Notfallzulassung erhalten, der befreite Jubelschrei darüber fiel aus irgendwelchen Gründen aus. Zudem besetzt Pfizer jedoch mit einer auch für ärmere Länder attraktiv gestrickten Verbreitungsstrategie den Therapeutikamarkt so massiv, dass man sich schon fragen kann, ob für die (und für welche davon) rund 600 anderen Therapeutika-Projekte überhaupt noch Bedarf bestehen wird. Eventuell für den Bereich der COVID-19-Begleiterkrankungen? Gleichzeitig hat man den Eindruck, dass dort das Tempo bei weitem nicht mehr so hoch ist. Oder ist das nur der eigenen Abstumpfung geschuldet, aufgrund allzu vieler Pressemeldungen, dass eine baldige Medikamentenzulassung "invented in Germany" wohl noch etwas auf sich warten lassen dürfte? Die Schweizer Humabs Biomed ist dagegen in den Kreis der "Wir retten die Welt"-Ritter aufgestiegen, weil ihr neutralisierender Antikörper in Kooperation mit Vir Biotechnology (nun die Muttergesellschaft der Schweizer) und GSK vor wenigen Tagen die EU-Zulassung erhalten hat.
Und die Diagnostik, die Testlabore, die Zulieferer, die alle gerade noch als Rückgrat und Anker der Wirtschaft bezeichnet wurden – und sich im Corona-Geschäft auch meist hohe Wachstumsraten haben sichern können? Eventuell wäre es selbst diesen Unternehmen nun langsam recht, wenn die Pandemie vorbei oder stärker abgemildert werden könnte. Manche, so die Rostocker Centogene, sagen das sogar ganz deutlich und verabschieden sich wieder aus dem Corona-ad-hoc-Geschäft.
Das ist auch gut so, denn es gibt hinter all den Corona-Gitterstäben auch eine andere Biotechnologie-Welt, sei es in Pharma oder der Bioökonomie, industriellen Verfahrenswegen bis hin zum zellulären Landwirtschaftsbereich bei Fisch- und Fleischersatz. Themen von hoher klinischer Bedeutung wie die fortbestehenden Herausforderungen bei Krebs oder auch neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer. Fragen zur Nutzung von CO2 als Basis für neue Nahrungsmittel oder Materialien, Abstand vom fossilen Kohlenstoff und Hinwendung zur zirkulären Kohlenstoffwirtschaft, nachhaltige, ressourcenschonende Prozesse bis hin zur echten grünen Energie aus Sonne, Luft und ein paar molekularen Bestandteilen einer artifiziellen Photosynthese. Viele Themen, die zu sehr verdrängt wurden, und uns hoffentlich – im Gegensatz zu "C" – mit zahlreichen innovativen Ansätzen in den nächsten Jahren begleiten werden.
Es gab viel mehr an Neuigkeiten, als hier kurz angerissen werden kann: Viel passiert in der Biotechnologie-Szene in Österreich, Rekordsumme nach Rekordsumme wird von VC-Fonds eingeworben, riesige Finanzierungsrunden drehen das Rad der Geldvermehrung immer schneller, Standorte wie Martinsried, Mainz, Heidelberg investieren große Summen in klassische Infrastruktur und kreative Kooperationsräume, auch Firmengründungen finden statt – diesen Überblick als statistisch valide Angabe erhalten Sie von uns wie immer "nach Kassenschluss", also zum Jahresanfang.
Ein Lesehinweis:
Wer beispielsweise eine kleine Artikelserie zum Thema Alzheimer nachlesen will, die im Biotechnologiejahrbuch der BIOCOM AG Ende November 2021 erschienen ist, kann dies hier tun. Interessante Gesprächspartner bieten ganz unterschiedliche Einblicke und Perspektiven auf die kommenden Entwicklungen in diesem Bereich. Das erste FDA-zugelassene Alzheimer-Medikament ist vielleicht kein Wundermittel, aber fungiert als Türöffner für die nächste Generation an Innovation. Es bleibt jedenfalls spannend, die Biotechnologie spielt dabei eine immer wichtigere Rolle.
Zu guter Letzt: Warum ausgerechnet eine ganz spezielle Meldung aus dem Jahr 2019 in unserer Hitliste von 2021 auch deutlich ins obere Drittel geklickt wurde, ist uns selbst ein Rätsel. Wahrscheinlich ist, dass der Entwicklungsfortschritt des chinesischen Unternehmens, das ein bestimmtes Projekt von Bayer übernommen hatte, für diese Zuckungen der Internetnutzer gesorgt hat. Es geht um Haare ...
Wir wünschen nun einen guten Jahresausklang, ein frohes Fest, Ruhe, Entspannung und Gesundheit für neue Taten und spannende Aktivitäten auch im neuen Jahr. Anfang Januar sind wir mit aktuellen Meldungen wieder für Sie da.
Ihre |transkript-Redaktion