Der österreichischen Biocrates Life Sciences AG gelingt die Übernahme des Konkurrenten Metanomics Health GmbH in Berlin. Alle Beteiligten sind sich einig: Das Zeitalter der klinischen Metabolom-Analysen bricht an und keiner sei so gut darauf vorbereitet wie Biocrates. Das Zusammengehen erscheint sinnvoll, denn auch Schwergewichte wie Roche und Thermo Fisher wollen den lukrativen Markt besetzen.
Am 9. Februar begannen in Pyeongchang die Olympischen Winterspiele 2018. Ob die in Loipe und Eisoval gezauberten Bestleistungen eventuell mit unerlaubten Hilfsmitteln erzielt wurden, wird in einem Dopingkontrolllabor in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul überprüft. Dort stehen ein paar Geräte, die sich in den vergangenen Jahren als unersetzlich im Kampf gegen Doping erwiesen haben – und in ein paar Jahren bei der klinischen Routinediagnostik von Krebs, Alzheimer und Co. auftrumpfen könnten: an Gas- oder Flüssigkeitschromatographen gekoppelte Tandem-Massenspektrometer (GC/LC-MS/MS). Diese Instrumente können schnell und präzise eine Vielzahl von in einer Probe vorhandenen Substanzen aufschlüsseln. Da die Probe zumeist von Organismen stammt und Auskunft über deren Stoffwechsel (Metabolismus) geben soll, hat sich für die datengestützte Analyse der Stoffwechselprodukte (des Metaboloms) der Begriff Metabolomik etabliert.
„Die Dopinganalytik hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und sowohl die Anzahl an Analyten als auch die entsprechenden Nachweisgrenzen konnten optimiert werden, so dass mittels einer einzigen Messung mehr als 200 Substanzen im relevanten Konzentrationsbereich erfasst werden können“, versichert Prof. Mario Thevis von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Unsere Arbeit wäre dabei ohne die vielseitigen Massenspektrometer wesentlich komplexer. Einige Substanzen können sogar einzig und allein mit diesen Geräten aufgespürt werden“, so Thevis gegenüber |transkript. Mit mehr als 400 in einer Messung quantifiziert nachweisbaren Metaboliten gilt die österreichische Biocrates Life Sciences AG derzeit als industrieweit führend. Ihre Sporen hat die Firma bei einem ähnlich akademisch geprägtem Thema wie dem Antidopingkampf verdient: „Die Gründung der Firma geht auf vier Universitätsprofessoren zurück,“ sagt Firmenchef Wulf Fischer-Knuppertz. „Einer davon ist der Kopf hinter dem Massenspektrometrie-basierten Neugeborenenscreening, das seit 2005 in Deutschland eine Regelleistung der Krankenkasen ist. Die Idee bei Biocrates war von Anfang an, das dort aufgeblitzte Potential auch auf andere Krankheitsbereiche zu übertragen.“ Sechzehn Jahre nach der Gründung sieht Fischer-Knuppertz Biocrates auf einem guten Weg. Am ehesten sei man mit Illumina vergleichbar, legt er die Latte hoch. „Das mag erst einmal sehr ambitiös klingen, aber wie Illumina sind wir in erster Linie Tool-Provider“, ergänzt der Vorstandsvorsitzende. Der US-Gigant bietet Geräte für die Genomanalyse sowie Kits für den Workflow davor und danach an, der Innsbrucker Aufsteiger tut dies für die Metabolomanalyse. Angelehnt an das Vorbild heißt das Motto dann auch in Tirol: „Unlock the Power of the Metabolome“.
Vom Homebrewer- zum Klinik-Markt
Laut Fischer-Knuppertz sinkt die Zahl der pro Jahr publizierten wissenschaftlichen Studien zu den Themen Genomik und Proteomik, die Zahl der Metabolomik-Studien steige hingegen unverändert: „Die Wissenschaftsgemeinde interessiert sich für das Thema.“ Auch für die Industrie hat die Stoffwechselanalyse mittlerweile einen hohen Stellenwert. Das Marktforschungsunternehmen MarketsandMarkets bezifferte den globalen Metabolomik-Markt 2016 auf rund 1 Mrd. US-Dollar. Bei einer geschätzten jährlichen Wachstumsrate von knapp 15% sollen 2021 bereits 2,4 Mrd. US-Dollar umgesetzt werden. „Der Markt wird immer noch hauptsächlich vom Instrumentenverkauf getrieben“, räumt der Biocrates-Chef ein. Maximal 10% der Umsätze dürften im klinischen Kontext angefallen sein. „Ich würde den Markt als Homebrewer-Markt bezeichnen, also jeder entwickelt und nutzt seine eigene Methode.“ David Wishart von der Universität Alberta in Edmonton (Kanada) berichtete in einem vielbeachteten Artikel in Nature Reviews 2016 jedoch von einem Trend zur Standardisierung: „Eine Automatisierung und Quantifizierung erhöht nicht nur den Durchsatz, sondern auch die Verlässlichkeit und die Reproduzierbarkeit zwischen Laboren und über Ländergrenzen hinweg.“ Diesen Trend befeuert Biocrates aktiv mit seinen Kits. Für die Analysegeräte der Hersteller Waters, Thermo Fisher und AB Sciex wurde der Arbeitsablauf bereits optimiert: „Wir stecken die Energie vorher in die Kits und testen diese in Ringversuchen mit zehn verschiedenen Laboren, damit die Ergebnisse nachher auch wirklich vergleichbar sind“, so Fischer-Knuppertz gegenüber |transkript. „Da wir Standards und Kontrollen wie in der klinischen Chemie benutzen, können wir quantitative Ergebnisse liefern. Damit sind wir derzeit die einzige Firma, die Proben aus unterschiedlichen Laboren so aufarbeitet, dass deren Auswertung untereinander möglich ist.“
Bei der präzisen, quantitativen und reproduzierbaren Messung definierter Metabolite, der zielgerichteten Metabolomik, spielt Biocrates seine Stärken aus, ist sich auch Matthias Kromayer vom Biocrates-Investor MIG Verwaltungs AG sicher: „Hier waren sie schon immer führend.“ Das klassische Geschäftsmodell, wie es auch andere Metabolomik-Firmen wie der US-Konkurrent Metabolon betreiben, sind Dienstleistungen: Der Kunde schickt die Probe, Biocrates macht die Analyse im hauseigenen Gerätepark und sendet danach die Interpretation der Ergebnisse zurück. Bei Biocrates macht dies aber nur ein Viertel des Umsatzes aus. Stark gewachsen sind indes die Umsätze über die verkauften Kits, die die Kunden mit ihren eigenen Geräten nutzen. Während das klassische Modell nur schwer skalierbar ist, weil der Gerätepark stetig mitwachsen muss, ist dies bei den Kits problemlos möglich. Fünf dieser Produkte werden bereits vermarktet und sind nach Firmenaussage in mehr als 100 Massenspektroskopie-Laboren weltweit im Einsatz, weitere Kits sind in der Pipeline.
Obwohl die Zeichen auf organischem Wachstum standen, war man in Innsbruck aufgeschlossen, als sich eine mögliche Übernahme der Berliner Metanomics Health GmbH abzeichnete. Nach neun Monaten Verhandlung war die Transaktion Anfang Januar 2018 in trockenen Tüchern: Metanomics Health‘ alleiniger Eigentümer, die BASF Plant Science GmbH, brachte die Firma ein und erhielt dafür Anteile an Biocrates. Direkt im Anschluss bekam die vergrößerte Firma von ihren Investoren frisches Eigenkapital in unbekannter Höhe. Neben der BASF-Tochter und der MIG AG zog auch Biocrates‘ Altinvestor GA Asset Fund mit. Die BASF Plant Science GmbH hält nun eine Minderheitsbeteiligung, größter Investor ist die MIG AG, die seit 2006 aus den MIG Fonds 1 bis 6 und 8 in Biocrates investiert hatte.
Dank der Übernahme hat die Innsbrucker Firma ab sofort nicht mehr nur eine Verkaufsniederlassung in den USA, sondern auch eine Zweigstelle in Deutschland. Die Belegschaft wächst kurzerhand von 40 auf fast 70 Angestellte. Jetzt habe man eine kritische Masse erreicht, frohlockt Kromayer. Metanomics Health, eine Ausgründung der 1998 ins Leben gerufenen und auf die Pflanzenphysiologie spezialisierten Metanomics GmbH, besetzt ein anderes Metabolomik-Feld: Das sogenannte Stoffwechselprofiling ist die ungerichtete, nicht quantitative Suche nach nicht zwingend bekannten Substanzen. „Hierbei versucht man, alle Metaboliten zu bestimmen, die in der Probe sind“, sagt Fischer-Knuppertz. „Viele unserer Kunden haben diesen Service nachgefragt, jetzt können wir ihn anbieten.“ Das komplementäre Technologieportfolio ist aber nur die Ouvertüre zur eigentlichen Wachstumsphantasie.
Metabolit-Signaturen als Diagnostika
Neben ihren jeweiligen Kernthemen – zielgerichtete Metabolomik beziehungsweise Stoffwechselprofiling – sind beide Firmen als Entwickler von Diagnostika und Begleitdiagnostika in Erscheinung getreten (s. Abb. S. 9). Metanomics Health baut seit 2007 ein Portfolio an Metabolit-basierten Biomarkern im Bereich onkologischer und kardiologischer Diagnostik auf und ist dabei etwas weiter fortgeschritten als Biocrates. Die unternehmerische Motivation, das Diagnostikfeld zu besetzen, liegt auf der Hand: Wie kann aus der geballten Metabolomik-Expertise ein großer Mehrwert gezogen werden? In der Pipeline von Metanomics Health sind zum Beispiel Biomarker-Programme zu Herzinsuffizienz (Diagnose und Vorhersage), Bauchspeicheldrüsenkrebs (Diagnose) und Prostatakrebs (Vorhersage). Die Berliner waren bereits bei der US-Zulassungsbehörde FDA, um ihr Konzept der Metabolom-Diagnostik bei Herzinsuffizienz vorzustellen. Obwohl man sich aufgeschlossen zeigte, wird die Messung mehrerer Parameter als problematisch angesehen. Standard in der klinischen Diagnostik ist immer noch der einzelne Parameter. „Metabolomics ist als Big-Data-Thema auf mächtige Algorithmen angewiesen. Meine Vermutung ist, dass die erste Zulassung in der Indikation Eierstockkrebs gelingen wird. Hier gibt es überzeugende Daten, dass man mit einer Metabolom-Analyse das Auftreten dieser Krebsart vorhersagen kann – und es gibt einen hohen medizinischen Bedarf“, so Fischer-Knuppertz. Ein Firma müsse einen solchen Test zur Zulassung bringen, dann öffne sich der Markt, zeigt er sich überzeugt.
Branche in Bewegung
Für eine breite Anwendung der Metabolom-Analyse müssen auch die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik für dieses Thema sensibilisiert werden. Das wäre eine klassische Aufgabe für die Lobbyarbeit der Pharma- und Diagnostikkonzerne. Erste Anzeichen, dass diese das klinische Potential der Technologie erkannt haben, gibt es bereits. So kündigte die Schweizer Roche AG im Sommer 2017 an, gar ein eigenes, speziell für klinische Belange konzipiertes Analysegerät für ihr modulares Cobas-System entwickeln zu wollen. Partner ist der japanische Maschinenbaukonzern Hitachi. Andy Plank, Leiter des Internationalen Geschäfts bei Roche Diagnostics, sagte |transkript: „Der Druck auf Gesundheitssysteme, schnell und effizient eine größere Anzahl von Testergebnissen zu liefern, wird immer intensiver. Unsere Vision für die Zukunft ist die Weiterentwicklung des Roche Integrated Core Lab. Wir sehen die Massenspektrometrie als einen integralen Bestandteil der Verwirklichung dieser Vision.“ Roche-Manager Jean-Claude Gottraux hatte 2017 griffig formuliert, die Massenspektrometrie aus „den dunklen Ecken des Forschungslabors an einen prominenten Platz im Kliniklabor“ zu holen. Zwar erwarte Gottraux, dass die Technologie wahrscheinlich einige existierende Anwendungen obsolet mache. Doch er bevorzuge, dass „wenn eine Art Kannibalisierung unseres Portfolios eintritt, wir es besser selbst tun“. Aus Investorensicht ist der Schritt von Roche positiv zu bewerten, sagt MIG-Manager Kromayer. „Unsere Investmenthypothese bei Biocrates war ehedem, dass ein möglicher Exit durch einen Verkauf an eine große Diagnostikfirma oder einen bedeutenden Gerätehersteller möglich ist. Dass mit Roche ein in der klinischen Diagnostik etablierter Konzern in Richtung Metabolomik strebt, rüttelt die ganze Branche auf.“
Erschienen in |transkript 1-2/18.