Der Datenspezialist Molecular Health GmbH mit Sitz in Heidelberg hat mit MH Predict ein auf künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Produkt im Portfolio, das die Erfolgswahrscheinlichkeit prognostiziert, mit der eine klinische Studie ihre Endpunkte erreicht. Zu großen Teilen stützt sich MH Predict auf die Datenbank Dataome, die von Molecular Health über einen Zeitraum von zehn Jahren mit einem Investitionsvolumen von über 150 Mio. Euro entwickelt wurde. Anfang Januar lizenzierte das von Dietmar Hopps Dievini finanzierte Unternehmen MH Predict für die Nutzung in der Finanzbranche an die britische Firma Daten Capital LLP aus. |transkript sprach mit Molecular Health-Chef Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach über die Hintergründe und die Zukunft von MH Predict.
transkript. Herr von Bohlen, was gab den Anstoß für MH Predict?
von Bohlen. Die Idee kam von außen. Die Lorbeeren gehören Amit Karna, einem Investmentbanker. Wegen eines anderen Projekts standen wir im Austausch mit Goldman Sachs, wo Amit damals arbeitete. Er vermutete, Molecular Health müsste in der Lage sein, vorab festzustellen, ob klinische Studien scheitern oder nicht – vorausgesetzt, unser Datenbanksystem Dataome ist so sauber, vernetzt und umfassend, wie wir behaupten. Ende 2017 haben wir daraufhin ein Team bei uns zusammengestellt, das in vier Wochen einen Prototypen programmiert hat.
transkript. Und das Ergebnis?
von Bohlen. Wir haben alle Studien der Webseite clinicaltrials.gov von 2005 bis 2015 genommen und dieses Datenset in Dataome eingebunden – inklusive der Ergebnisse der Studien. Jede klinische Studie hat unter anderem Informationen über den Wirkstoff. In Dataome ist das Wissen über die On-label-, Off-label-, On-target- und Off-target-Effekte dieser Substanzen gebündelt. Am Ende hatten wir mehrere 10.000 klinische Studien im System, von denen wir das Ergebnis wussten. Dann haben wir 19 verschiedene Standardtechniken aus dem Repertoire an Künstliche-Intelligenz-Algorithmen angewendet und deren Leistung bewertet. Die beste lag bei 80%. An diesem Datenset trainiert, haben wir den Algorithmus auf die Studien aus dem Jahr 2016 angewendet. Abermals waren wir bei 80% richtigen Aussagen. Zu guter Letzt gab uns Goldman Sachs 37 Studien über verschiedene Indikationen und über verschiedene klinische Phasen vor, deren Ausgang damals noch nicht bekannt war. Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, lag MH Predict zu 84% richtig. Mit einer Quote von um die 80% ist unsere Lösung um Längen besser als der derzeit genutzte Industriestandard. Die sogenannten Hays- oder Parexel-Tabellen weisen eine durchschnittliche Prädiktivität von 55% auf. Jährlich neu veröffentlicht werden dort die historisch begründeten Erfolgswahrscheinlichkeiten von Studien in Abhängigkeit von Indikation, Wirkstoffklasse, Formulierung etc. zusammengefasst. Diese Werte sind zwar prädiktiv eigentlich unbrauchbar, aber jeder nutzt sie, weil es nichts anderes gibt.
transkript. Und dann kam die Idee auf, MH Predict kommerziell zu nutzen …
von Bohlen. Genau. Aus dem Projektteam ist mittlerweile eine feste Abteilung geworden. Wir bieten MH Predict zum Beispiel Pharmaunternehmen an, die damit ihre eigene klinische Pipeline und die der Wettbewerber besser als jemals zuvor bewerten können. Zwei Unternehmen konnten wir bereits als Kunden gewinnen.
transkript. Wie nutzen Banken wie Goldman Sachs MH Predict?
von Bohlen. Beim Erwerb von Assets oder bei Firmenzusammenschlüssen muss der Wert des Assets beziehungsweise der Pipeline möglichst genau bestimmt werden. Investmentbanken analysieren Marktpotential, Wettbewerber und Spitzenumsätze. Das Ergebnis wird am Ende mit der Erfolgswahrscheinlichkeit eines bestimmten Entwicklungsprogrammes abdiskontiert. Hier kann es einen entscheidenden Unterschied machen, ob man die historischen oder die von MH Predict errechneten Werte nimmt. Wenn ich zum Beispiel im Bieterwettstreit mit einer Firma bin, die Hays-Tabellen nutzt, habe ich mit MH Predict einen Wissensvorsprung. Zum Beispiel kann ich einen höheren Kaufpreis vorschlagen, da ich weiß, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit nach MH Predict deutlich höher ist als nach den historischen Werten.
transkript. Welche Geschäftsidee verfolgt die 2018 gegründete britische Firma Daten Capital, die Anfang 2019 eine exklusive MH Predict-Lizenz für die Nutzung im Finanzsektor erworben hat?
von Bohlen. Mit dem Wissen um die Erfolgswahrscheinlichkeit klinischer Studien können Investoren im Schnitt bessere Investmententscheidungen treffen. Das Ziel von Amit und seiner Daten Capital LLP ist es, einen Biotech-Fonds aufzusetzen. Wir sind zwar keine Gesellschafter, aber wir sind neben der jährlichen Lizenzgebühr auch doppelt am Erfolg von Daten Capital beteiligt. Zum einen bekommt Molecular Health eine Erfolgsbeteiligung an der Firma selbst, zum anderen auch eine Erfolgsbeteiligung an jedem aufgesetzten Fonds. Mit zwei, drei guten Entscheidungen – womöglich gegen den Trend – kann so ein Fonds richtig gut abschneiden. Dieses Potential wollten wir nicht ungehoben lassen.
transkript. Beteiligungsfirmen schichten ihre Investments um. Pharmafirmen stellen ihre Pipelines anders auf. Wie groß ist das Potential von MH Predict?
von Bohlen. Ich denke, das Tool kann einen großen Einfluss auf die Produktivität der gesamten Industrie haben und kommt damit letzten Endes auch den Patienten zugute. Zum Beispiel werden wenig aussichtsreiche Studien in Zukunft nicht mehr begonnen. Für Patienten steigt die Wahrscheinlichkeit, an einer Studie teilzunehmen, die wirklich etwas bringt. Auch kommen die Wirkstoffe schneller zum Markt und stehen den Patienten zur Verfügung. Bei einem Punkt müssen wir aber aufpassen. Die Fokussierung auf Projekte mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit darf nicht dazu führen, dass sogenannte Friedhof-Indikationen noch mehr als bisher ins Hintertreffen geraten. Bis jetzt sind zwar nahezu alle Ansätze in Indikationen wie Glioblastom, Sepsis oder Alzheimer gescheitert. Aber gerade für diese Krankheiten sind neue Therapien enorm wichtig.
transkript. Woran arbeitet das MH Predict-Team aktuell?
von Bohlen. Wir haben 150 Parameter, mit denen die Studien bewertet werden. Wie diese Parameter von den selbstlernenden Algorithmen bewertet werden, wissen wir derzeit nicht. MH Predict wirft nur das Ergebnis aus. Die nächste Version des Produkts wird es erlauben, bestimmte Features zu simulieren. Dann kann das Studiendesign mit Hinblick auf den Erfolg optimiert werden, zum Beispiel, was Probandenzahl, Wirkstoffkonzentration oder Target-Selektion angeht.