Im April diskutieren Politiker aus aller Welt auf dem Global Bioeconomy Summit Strategien, die Decarbonisierung, nachhaltige Bio-Produktion und den Biodiversitätsschutz stärken. Kurz zuvor hat der Bioökonomierat gemahnt, der einstige Bioökonomie-Pionier Deutschland gerate zusehends ins Abseits, und fordert die Regierung auf gegenzusteuern.
Rund vier von fünf Deutschen sind Umfragen zufolge gegen umweltpersistente Mikroplastik in Kosmetikartikeln wie Peelings. Denn über das Abwasser verschmutzen die Plastikpartikel die Meere auf Jahrhunderte und haben die Nahrungskette längst erreicht. Die Verbraucher wünschen sich umweltverträgliche Lösungen, die entweder das Plastik oder aber das Umweltproblem eliminieren. Erste Zwischenlösungen der Bioökonomieforschung, wie ein abbaubarer Biokunststoff der japanischen Kaneka Corporation, der binnen sechs Monaten in den warmen Meeren Südostasiens biologisch abgebaut wird, werden auf dem internationalen Gipfeltreffen für Bioökonomiepolitik in Berlin, dem 2. Global Bioeconomy Summit, (19.– 20. April 2018, gbs2018.com/video/) mehr als 700 Fachbesuchern in einer Ausstellung präsentiert.
Getragen von nationalen und internationalen Bioökonomie-Förderinitiativen gibt es inzwischen eine Fülle nachhaltiger, klimaschonender und erdölfreier Prozesse und Produkte. Allerdings brauchen sie Anschub und politische Unterstützung, solange die Märkte noch auf die oft billigeren Erzeugnisse aus nicht-nachhaltiger Produktion setzen. Um nicht vorzeitig von der Bildfläche zu verschwinden, sind für die meist völlig unbekannten Innovatoren drei Dinge wichtig: Sichtbarkeit, Nachhaltigkeitssiegel (denen die Verbraucher vertrauen können)und Geld, damit Forschung und Entwicklung nicht vorzeitig versiegen. Beispiel: In nur sechs Jahren hat das französische Unternehmen Carbios einen Kreislaufprozess entwickelt, der PET-Plastikflaschen und -textilien mit Hilfe von Bakterien vollständig in die Ausgangsmaterialien verwandelt – Plastikmüll wird so zum wertvollen Rohstoff eines perfekten Kreislaufprozesses. Deutsche Unternehmen arbeiten daran, das Klimagas CO2 als Rohstoff für die Produktion zu nutzen. Und das sind nur die ersten Früchte der Einsicht, dass ohne nachhaltige Produktion globale Probleme wie Klimaschutz, Ressourcenknappheit oder Hunger nicht bewältigt werden können.
Abgehängter Pionier Deutschland
Einen Monat vor dem Stelldichein der internationalen Bioökonomie-Politik-Meinungsführer warnt indes der Deutsche Bioökonomierat, dass das Bioökonomiemusterland Deutschland zurückfallen wird, wenn die Politik nicht handelt. Tatsächlich ist in den Jahren, nachdem Deutschland als erstes Land weltweit 2011 eine nationale Forschungsstrategie Bioökonomie aufgelegt hat, andernorts (geld)politisch mehr passiert: Frankreich, Finnland, China und die USA-Küstenregionen sind die neuen Stars des heranwachsenden Zukunftsmarktes, der derzeit in 50 Staaten weltweit vorangetrieben wird. „Deutschland droht, seine Spitzenposition in der Bioökonomie zu verlieren,“ warnt Dr. Christine Lang, Teil der Doppelspitze des Deutschen Bioökonomierates. Es sei wichtig, dass die Bundesregierung den Standort D jetzt zukunftsfest mache, denn, so der Ko-Vorsitzende Joachim von Braun: „Bioökonomie-Innovationen schützen Umwelt, Klima und Ressourcen.“ Die Experten fordern die Modernisierung der Bioökonomiestrategie. Denn Digitalisierung und Biologie würden zunehmend verschmelzen. Systembiologisch und mittels selbstlernender Algorithmen sequenzoptimierte Mikroorganismen gehörten genauso zur Industrieproduktion 4.0 wie Genome Editing und synthetische Biologie. Der Rat fordert die Umsetzung der von der Bundesregierung angekündigten Agenda Biologisierung und 3 Mrd. Euro Projektförderung bis 2024. Ähnlich wie das Hightech-Forum (vgl. |transkript 5/2017) spricht sich der Rat für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen in innovative Unternehmen aus, denen auf der Strecke zum Markt sonst die Luft ausgehe. Zudem soll die Bioökonomie stärker in die Nachhaltigkeitsstrategie eingebunden und ihre Erfolge systematisch erfasst werden. Das Ganze müsse wegen der wachsenden Konkurrenz aus Übersee in eine kohärente EU-Bioökonomiepolitik münden, die das Wertschöpfungspotential in Europa wahrt.
Endlich politisch Farbe bekennen
In Deutschland, so der Rat, werde das der Bioökonomie innewohnende Potential sowohl von Investoren als auch in der Öffentlichkeit schlichtweg nicht genügend wahrgenommen und deshalb grob unterschätzt. Die Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen des EU-Projektes Biostep, das nach dreijähriger Recherche und Analyse von Politikstrategien zur Förderung der Bioökonomie Ende Februar seine Empfehlungen vorgestellt hat (www.bio-step.eu). Demnach muss die bis dato fast ausschließlich in Fachkreisen diskutierte Bioökonomie endlich den Schritt nach außen wagen, Vertreter der Zivilgesellschaft in Forschung und Kommunikation einbinden, um beim Verbraucher punkten zu können. Dahinter steht die Beobachtung, dass der Druck der Basis einiges bewirken kann. Die Hoffnung ist, dass etablierte Unternehmen trotz längst abgeschriebener, hochprofitabler Produktionsanlagen für Erdölchemie-basierte Produkte in die noch jungen Prozesse investieren, die noch nicht über derartige Skaleneffekte verfügen können.
Bioökonomiepolitik-Elite in Berlin
Eine Chance, Deutschlands Führungsposition in der Bioökonomiepolitik zu erneuern, bietet sich auf dem Global Bioeconomy Summit. Neben hochrangigen Vertretern der Europäischen Kommission und der OECD werden hier auch Minister und Experten aus den USA, Kanada, China, Thailand, Südamerika und Afrika in Politik-, Industrie- und Biodiversitäts-Vortragssträngen für die Bioökonomie trommeln, aber auch Handlungsfelder wie den Umweltschutz, den Interessenausgleich mit Ländern des globalen Südens, Kommunikations- und Finanzierungsstrategien beleuchten. Daneben werden die Implikationen neuer Technologien wie der Synthetischen Biologie, des Genome Editings oder digitalisierter Sequenz- und Genexpressionsdaten für das Design völlig neuartiger Prozesse und Produkte beleuchtet. Angesichts des globalen Wettbewerbes spricht EU-Strategiechef Waldemar Kütt über die in diesem Jahr anstehende Erneuerung des EU-Bioökonomie-Aktionsplans und einen neu aufgelegten Co-Investmentfond für Innovatoren. Denn auch die EU hat beim Thema Bioökonomie im globalen Kräftemessen Zeit und Boden verloren. Im Standortvergleich gut dazustehen scheint jedoch gerade jetzt wichtig, denn auch Investoren werden unter den mehr als 700 Gästen des Summits sein.
Erschienen in |transkript 4/18.