Die Welt schaut auf Regensburg: Am dortigen Universitätsklinikum wurde vor ein paar Monaten die weltweit erste unternehmensfinanzierte Therapie mit der Genschere CRISPR an einem Menschen durchgeführt. Jetzt ist klar: Die Therapie ist sicher und wirkt. Kurzum: Sie war ein Erfolg!
Vor rund einem Jahr berichtete |transkript vom Start der Studie (1, 2), die von den Biotech-Unternehmen Vertex Pharmaceuticals (Boston, USA, Nasdaq: VRTX) und CRISPR Therapeutics (Zug, Schweiz, Nasdaq: CRSP) finanziert wird. Unter den dreizehn weltweit verstreuten Städten, in denen insgesamt 45 Patienten für diese klinische Studie rekrutiert werden, nimmt das Universitätsklinikum Regensburg eine Sonderrolle ein. „Wir haben hier innerhalb der Studie den ersten Patienten behandelt”, so Selim Corbacioglu, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation. Konkret ist es eine 20-jährige Patientin, der „gecrisperte” Zellen im Körper nun schon mehrere Monate ein Leben ohne Bluttransfusionen ermöglichen.
Besagte Patientin hat die Krankheit β-Thalassämie, eine angeborene, chronische Erkrankung, die den Blutfarbstoff (Hämoglobin) betrifft. Während normales Hämoglobin aus zwei Haupt-Eiweißketten (α und ß) besteht, ist bei der ß-Thalassämie die Produktion der ß-Ketten reduziert oder fehlt ganz. In der Folge sind die Hämoglobin-tragenden roten Blutkörperchen zahlenmäßig verringert, kleiner als normal und enthalten weniger roten Blutfarbstoff. Die Patienten leiden an den Folgen des Sauerstoffmangels. „Solche Patienten müssen 12, 15 oder gar 18 Mal im Jahr zur Bluttransfusion”, so Corbacioglu gegenüber |transkript. Die mit dieser Therapie erzielte Transfusionsfreiheit verspricht eine dramatische Verbesserung der Lebensqualität eines Patienten. „Sie sind als chronischer Patient in vollem Umfang von Ihrem Krankenhaus abhängig, sie können zum Beispiel keinen langen Urlaub machen. Und Sie wissen, dass die Komplikationen der chronischen Transfusionen sie früher oder später treffen werden.”
Die von Vertex und CRISPR Therapeutics entwickelte Behandlung mit dem Namen CTX001 ist eine autologe Zelltherapie. Das heißt, Zellen werden den Patienten entnommen (konkret: hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen, hHSPCs), deren Erbgut mit der Genschere CRISPR-Cas9 korrigiert und die Zellen dann dem Patienten zurückgegeben. Nach der Einmalbehandlung werden Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie beurteilt.
Wie Mitte November von den Unternehmen bekannt gegeben wurde, konnten mit CTX001 bei zwei Patienten die Hämoglobinfehlfunktion erfolgreich überspielt werden. Für CRISPR Therapeutics bedeutete die Nachricht an der Börse einen Kurssprung von 20%. Neben der Regensburger ß-Thalassämie-Patientin wurden auch erste Daten einer an einer Sichelzellanämie leidenden Patientin in den USA veröffentlicht. „Für Sichelzellanämie-Patienten ist diese Therapie ein dringend benötigter Hoffnungsschimmer”, so Corbacioglu. „Die Schmerzen, die sie erleiden, sind unvorstellbar. Hinzu kommt die immer währende Unsicherheit: Jeder Schnupfen, jedes Zwicken kann zu lokalem Sauerstoffmangel und in vielen Fällen zur Einweisung auf die Intensivstation führen.”
Die Genomeditierung der hHSPCs korrigiert übrigens keinen der zugrundeliegenden Gendefekte bei den Patienten. Stattdessen löst sie in diesen Zellen die Bremse eines alternativen Hämoglobingens, womit die „gecrisperten” Zellen sogenanntes fötales Hämoglobin produzieren. Das übernimmt im Körper dann die Funktion des Standard-Hämoglobins.
„Wir sind sehr erfreut über diese vorläufigen Daten. Sie stellen die erste Daten dar, die von Patienten mit ß-Thalassämie und Sichelzellenerkrankungen stammen, die mit unserem CRISPR/Cas9-editierten Zellen behandelt wurden”, sagte Samarth Kulkarni, Vorstandsvorsitzender von CRISPR Therapeutics. „Diese Daten untermauern unseren Glauben an das Potential unserer Therapien, nach einem einmaligen Eingriff einen bedeutenden Nutzen für die Patienten zu erzielen.”
Laut Corbacioglu werden in Regensburg insgesamt fünf bis sechs Patienten mit ß-Thalassämie als auch Sichelzellanämie in der Studie behandelt. Der Arzt weist darauf hin, dass es neben dieser neuartigen Therapie noch eine Reihe weiterer Behandlungsoptionen für Sichelzellanämiepatienten gibt, zum Beispiel durch Stammzelltransplantationen mit Zellen von Geschwistern. „Alle Sichelzellpatienten weltweit können wir hier in Regensburg jetzt kurativ behandeln. Das hätte ich so vor ein paar Jahren noch nicht sagen können”, so ein zuversichtlicher Corbacioglu.
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