Obwohl die präklinischen Daten zu einem Haarausfall-Medikament spektakulär waren und die erste Phase klinischer Tests erfolgreich absolviert wurde, hat Bayer die globalen Rechte an dem experimentellen Antikörper zur Therapie von Haarausfall nach China verkauft.
Ein Milliardenmarkt lockt, doch die Bayer AG wählt den Spatz in der Hand, nicht die Taube auf dem Dach. Das Geschäft mit Mitteln gegen Haarausfall wächst Jahr für Jahr um rund 5% und wird 2026 11 Mrd. US-Dollar umfassen. Der Markt für Haartransplantationen wächst laut Global Markets Insights sogar noch dynamischer (25%). Für Wirkstoffe und chirurgische Eingriffe gegen die sogenannte androgenetische Alopezie, also dem bei Männern und auch vielen Frauen verbreiteten Haarausfall, werden 2024 zusammengenommen etwa 25 Mrd. US-Dollar ausgegeben werden – Kosmetika nicht eingerechnet. Bayer hätte sich mit einer erfolgreichen Entwicklung eines Wirkstoffs aus dem eigenen Haus, dem gegen den Prolaktin-Rezeptor gerichteten Antikörper BAY 1158061, ein großes Stück vom Kuchen abschneiden können. Man entschied sich aber, die globalen Rechte an dem Wirkstoff lieber zu verkaufen.
Der Käufer, ein Spin-off der Universität von Peking, kennt das Projekt als früherer Bayer-Forschungspartner gut. Das Team hinter dem finanzkräftigen Start-up Hope Medicine war von den präklinischen Daten so angetan, dass es Bayer ein Kaufangebot vorlegte. Dieses war offenbar so gut, dass es andere Interessenten und die Option, das Programm intern bei Bayer weiterzuverfolgen, erfolgreich ausstach. Wie im April bekannt wurde, erhält der deutsche Pharmakonzern eine Vorabzahlung von Hope Medicine sowie weitere Zahlungen bei Erreichen bestimmter Entwicklungsabschnitte und eine Umsatzbeteiligung. Wie hoch die Zahlungen ausfallen, wurde nicht veröffentlicht. Um sich das Projekt zu sichern, erhielt die chinesische Firma in einer Serie A-Runde von den Beteiligungsgesellschaften Trustbridge Partners und Qi Rui You Kang Finanzmittel in ungenannter Höhe. Für Sam Lou, Mitgründer und COO von Hope Medicine, sind die nächsten Schritte klar: „Wir freuen uns, das klinische Phase II-Programm in Europa, den USA und China auf den Weg bringen zu können.“
Zweite Indikation
Der Kandidat bindet nicht-kompetitiv an Prolaktin-Rezeptoren und unterbindet bei lokal erhöhten Spiegeln des körpereigenen Hormons Prolaktin unerwünschte Nebeneffekte wie die Hemmung des Haarwachstums. Eine zweite Indikation, und die von Bayer zuerst verfolgte, ist die Gebärmutterschleimhaut-Erkrankung Endometriose, bei der ein lokal erhöhter Prolaktinspiegel ebenfalls relevant sein könnte. Hope Medicine könnte auch diese Indikation weiter verfolgen. Zwei noch von Bayer durchgeführte Phase I-Studien mit BAY 1158061 belegten übrigens dessen gute Verträglichkeit im Menschen.
Das überraschende Haarwachstum durch Behandlung mit dem Wirkstoff wurde bei präklinischen Experimenten mit Mäusen beobachtet: Bei Tieren mit künstlich erhöhtem Prolaktinspiegel wuchsen geschorene Stellen innerhalb von zwei Wochen wieder zu. Bei den Kontrolltieren war Fellwachstum dort nur ansatzweise zu sehen. Später konnte der Effekt im besten Modell der humanen androgenetischen Alopezie eindrucksvoll bestätigt werden: Stummelschwanzmakaken wuchsen auf kahlen Stellen am Kopf innerhalb weniger Monate neue Haare – bei Männchen und Weibchen. Und das dauerhaft sowie unabhängig davon, wie alt das Tier war und somit wie lange die Stellen schon kahl waren.
Neben dem verlockenden Marktvolumen spricht auch die Applikationsart für BAY 1158061. Als monoklonaler Antikörper soll er im Abstand von einigen Wochen in der Arztpraxis subkutan verabreicht werden. Andere Mittel müssen umständlich in die Kopfhaut einmassiert werden. Entscheidend für den kommerziellen Erfolg wird zudem das Nebenwirkungsprofil sein. Finasterid, ein häufig bei Haarausfall eingenommenes Generikum, kann in seltenen Fällen zu vermindertem Sexualtrieb und Impotenz führen.
Erschienen in |transkript 02/2019