Der "Impfreflex" wurde durch die Omikron-Mutante erneut und verstärkt ausgelöst, zig Unternehmen verändern ihre Corporate Identity und rufen zum Impfen auf, das Boostern wird zum Schlachtruf. Im Schatten davon gibt es (langsame) Fortschritte auf der Therapeutikaseite.
Laut dem US-amerikanischen Verband BIO werden über 600 verschiedene Medikamente gegen COVID-19 entwickelt. Anfang Dezember zählte die Organisation fast 270 antivirale und gut 360 andere therapeutische Medikamente in den Entwicklungspipelines diverser Unternehmen auf dem Globus. Die "Pfizer-Pille" weckt dabei die größten Hoffnungen und befindet sich derzeit im finalen Zulassungsprozessschritt. Die "Merck-Pille" hat diesen bereits vollzogen, jedoch sorgten die schließlich kommunizierten Wirksamkeitsdaten für Ernüchterung. Der „Donald-Trump-Gedächtnis-Cocktail“ Ronapreve (Regenereon/Roche) wurde Mitte November mit einjähriger Verspätung zu den USA nun auch in Europa zugelassen und bildet zusammen mit Regkirona (Celltrion) damit die ersten beiden Antikörper-Präparate gegen COVID-19 in Europa. Im Lichte der Omikron-Variante könnte jedoch der Regeneron-Antikörpermix Schwächen aufweisen, während der ebenfalls schon länger durch die FDA notfall-zugelassene GSK/Vir/HumabsBiomed Antikörper Sotrovimab nach Angaben von GSK auch die Omikron-Variante neutralisiere. Hier steckt das rollierende Verfahren der EMA jedoch noch fest, andere Dinge gehen dagegen erstaunlich schnell.
Die Schweizer Roche hat so einen schnellen Erfolg auf europäischer Ebene verbuchen können für das bei jugendlicher Arthritis schon länger zugelassene Mittel RoActemra, dessen (Teil-)Studiendaten vom Frühjahr nicht einmal besonders überzeugend waren. Dieser Interleukin-6-Antikörper soll die kortisonbehandelten schweren COVID-19-Fälle unterstützen und zeigt größere Verbesserung zur Vergleichsgruppe – jedoch nur bei sehr frühzeitigem Einsatz. Da etwa der Parameter "Versterben" in der Behandlungsgruppe bei 31%, in der nur nach Standard behandelten Patientengruppe (insgesamt immerhin über 4.000 Studienteilnehmer) jedoch mit 35% nur wenige Prozentpunkte schlechter abschnitt, kann man die schnelle Abfolge von CHMP-Empfehlung der EMA und Zulassung durch die EU-Kommission am nächsten Tag (!) nur als eine Notfallmaßnahme interpretieren, getrieben von der Omikron-Angst.
Ganz unterschiedliche Ansätze
Wie die Aufstellung der BIO zeigt, finden sich 30% mehr Entwicklungsprojekte im Bereich der durch die Virusinfektion ausgelösten Begleit- oder Langfristerkrankungen als in Ansätzen, die direkt gegen das Virus und seine Bestandteile abzielen. Auch die Heidelberger Apogenix AG gehört zu dieser Gruppe und hat nun eine Zusatzfinanzierung von BMG, BMBF und den Investoren gewinnen können, um die entscheidende Phase III-Studie anzugehen.
Die Finanzierung in Höhe von 26 Mio. Euro für eine zulassungsrelevante Phase III-Studie ihres CD95-Ligandenblockers Asunercept zur Behandlung von COVID-19-Patienten setzt sich zusammen aus 20,7 Mio. Euro staatlicher Mittel und einer Finanzspritze von 5,1 Mio. Euro von Apogenix' Hauptinvestor dievini Hopp BioTech Holding GmbH & Co. KG. Wissenschaftliche Daten deuten darauf hin, dass der CD95-Ligand (CD95-L) – das Zielmolekül von Asunercept – eine Schlüsselrolle bei der Auslösung einer lebensbedrohlichen Lymphopenie bei mäßig bis schwer kranken, hospitalisierten COVID-19-Patienten spielt. Zwischenergebnisse der laufenden Phase II-Studie mit beatmeten COVID-19-Patienten gaben Hinweise auf die Wirksamkeit von Asunercept in dieser Patientengruppe. Laut der deutschen Zulassungsbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, hat der Ansatz von Apogenix "das Potenzial, schwer erkrankte COVID-19-Patienten zu behandeln, und zwar unabhängig von den Varianten des SARS-CoV2-Virus, die sich ständig weiterentwickeln und letztlich auch bei geimpften Personen der Immunantwort entgehen können".
In die Phase III-Studie werden hospitalisierte COVID-19-Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung aufgenommen, die zusätzlich zur Standardtherapie mit Sauerstoff behandelt werden. Diese Patienten weisen häufig Anzeichen einer Lymphopenie sowie ein schweres hyperinflammatorisches Syndrom auf. Trotz der Behandlung auf der Intensivstation nimmt die Krankheit bei dieser Patientengruppe oft einen tödlichen Verlauf.
Den starken Fokus der Öffentlichkeit und medialer Berichterstattung auf Impfstoffe, kommentiert Thomas Hoeger, Vorstandsvorsitzender der Apogenix AG: "Es wird immer deutlicher, dass zusätzlich zu den COVID-19-Impfstoffen ein dringender Bedarf an wirksamen Medikamenten besteht, um diejenigen zu behandeln, die ohne oder trotz Impfung an COVID-19 erkranken." Er erwartet, dass Asunercept das Absterben von Immunzellen und Lungenzellen, das zu Lymphopenie und akutem Atemnotsyndrom (ARDS) führt, verhindern kann und damit die Zahl der COVID-19-Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder sogar sterben, verringert.
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