Es wird zu wenig Blut gespendet, was regelmäßig zu Engpässen bei der Versorgung mit Blutkonserven führt. Insbesondere das in Notfallsituationen eingesetzte Blut der Blutgruppe 0 ist Mangelware. Eine jetzt vorgestellte Methode setzt auf eine Enzymbehandlung von Blut der Blutgruppe A, um es in Universal-Spenderblut umzuwandeln.
Bluttransfusionen sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesundheitssystems und retten jährlich viele tausend Menschenleben. Das verwendete Blut muss sorgfältig abgestimmt werden, da eine Transfusion mit nicht übereinstimmenden Blutgruppen tödliche Folgen haben kann. Am besten geeignet ist das Universal-Spenderblut der Blutgruppe 0. Mitte Juni veröffentlichte eine US-amerikanisch-kanadische Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift Nature Microbiology eine Studie, in der sie ein Enzympaar vorstellt, das die menschliche Blutgruppe von A zu 0 ändern kann. So könnten zukünftig für viele Empfänger mehr passende Blutkonserven verfügbar gemacht werden.
Der Ansatz ist an sich nicht neu. Jedoch gelang es den Forschern erstmals, dass die Enzyme auch im Blut aktiv sind – und nicht nur in einem künstlichen Puffersystem.
Die Antigene der Blutgruppen A und B besitzen ein terminales Zuckermolekül am Ende der Oberflächenmoleküle – N-Acetyl-Galaktosamin für Blutgruppe A und Galaktose für Blutgruppe B. Die Antigene der Blutgruppe 0 haben kein solches Zuckermolekül. Dadurch nehmen Blutkörperchen anderer Blutgruppen sie nicht als „fremd“ wahr. Die Forscher konnten nun aus dem menschlichen Darmbakterium Flavonifractor plautii ein Enzympaar isolieren, das kombiniert eingesetzt die Fähigkeit besitzt, das terminale Zuckermolekül von Blutgruppe A-Antigenen spezifisch abzuschneiden und somit rote Blutkörperchen der Blutgruppe 0 zu erzeugen. Die Wissenschaftler beschreiben darüber hinaus, dass eine sehr geringe Konzentration der Enzyme ausreicht, um eine vollständige Blutkonserve umzuwandeln, und es möglich ist, die Enzyme danach vollständig wieder zu entfernen.
„Natürlich wäre die Umwandlung der Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppen A und B in solche der ‚Universal-Blutgruppe‘ 0 versorgungstechnisch höchst vorteilhaft“, so Markus Müller, Oberarzt am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. So spannend der Ansatz ist, es lauern noch einige Herausforderungen auf dem Weg zu einem Einsatz in der Klinik. „Die Eröffnung des Arzneimittels ‚EK-Beutel‘ und die Zugabe bakteriell gewonnener Enzyme gibt uns GMP- und arzneimittelrechtlich geschulten Transfusionsmedizinern Anlass zur Besorgnis: Wir arbeiten seit Jahrzehnten im geschlossenen System, um bakterielle Kontaminationen erfolgreich zu vermeiden. Eine Zugabe ‚nicht menschlicher‘ Enzyme zu einem Blutprodukt könnte zu lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen beim Transfusionsempfänger führen. Dies bedingt, dass man die Enzyme nach getaner Arbeit aus dem EK entfernen müsste. Wir wissen aber, dass das Waschen von EK zu einer erhöhten Hämolyserate und kürzerer Überlebenszeit der Erythrozyten, sprich einer kürzeren Halbwertszeit führt. Damit würden wir uns mit dem einen Vorteil gegebenfalls einige Nachteile einkaufen.” Trotzdem unterstützt Müller den Forschungsansatz. Fraglich sei allerdings, woher das Geld für eine Weiterentwicklung kommen soll. „Ein klinisches Studienprogramm würde mit Sicherheit einen achtstelligen Eurobetrag verschlingen”, schätzt er.
In Deutschland liegt der Erythrozytenkonzentratpreis zwischen 70 Euro und 90 Euro. Die Enzymbehandlung würde den Preis der „Biotech-Blutkonserven” noch einmal deutlich steigern. Ob solch ein höherer Preis trotz des zeitweiligen Mangels an Spenderblut der Blutgruppe 0 gezahlt werden würde, steht in den Sternen. Clemens Karl Peterbauer vom Institut für Lebensmitteltechnologie der Universität für Bodenkultur in Wien sieht daher eine große Hürde darin, einen tatsächlichen Bedarf für diese Behandlung abzuschätzen: „Blutgruppe 0 ist relativ häufig. Die Gelegenheiten, zu denen tatsächlich ein Mangel an Gruppe-0-Blut eintritt, der so groß oder so dringend ist, dass enzymatische Konversion von Gruppe-A-Blut notwendig erscheint, sind möglicherweise selten.”
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