Rund 450 Experten haben sich bei der digitalen 4th AMR Conference über den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen ausgetauscht. Sie fordern ein stärkeres Engagement von Europa.
Vom 24. bis 28 August haben rund 450 internationale Experten auf der digitalen 4th AMR Conference eine ganze Palette an Themen für die globale AMR (Antimicrobial Resistance) Community diskutiert. Ob forschender Mittelständler in Biotech oder Diagnostik, Big Pharma, Diagnostik-Konzern oder Kliniker, Human- oder Veterinärmediziner, ob Investor oder Wissenschaftler – mit High-Level Panels und Expertensession hat die in diesem Jahr erstmals digital angebotene Konferenz viele internationale Akteure im Bereich Antibiotikaresistenzen zum Austausch über aktuellste Trends und Entwicklungen zusammengebracht.
Ein hochrangiges Panel aus Gesundheitsexperten, Biotech- und Diagnostik-Firmen sowie öffentliche Einrichtungen hat am ersten Tag den Einfluss von COVID-19 auf das AMR-Ökosystem diskutiert. Für die Infektionsforschungs-Experten ist klar: Während COVID-19 das Gesundheitssystem auf eine akute Belastungsprobe stellt, bei der ad-hoc Lösungen gefunden werden müssen, handelt es sich bei Antibiotikaresistenzen mit rund 750.000 Toten jährlich um eine schleichende pandemische Krise, die längst da ist – aber nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommt. "Wir müssen jetzt die Vorbereitungen treffen, damit uns die schleichende Krise nicht mit noch größerer Wucht trifft“, unterstrich Manica Balasegaram, Direktor der von mehreren Regierungen unterstützten globalen Organisation GARDP in der Opening Session am 24. August. Rafael Cantón, Leiter der klinischen Mikrobiologie am Universitätsklinikum Ramón y Cajal in Madrid betonte, dass bakterielle Infektionen als Zweitkomplikationen bei schweren COVID-19-Verläufen immer häufiger auftreten und im klinischen Kontext schon jetzt beide Pandemien eng miteinander verbunden seien. Dieses Bild konnte auch Stefanie Deinhardt-Emmer, Diagnostik-Expertin vom Institut für medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Jena bestätigen: „Eine schnelle und valide Diagnostik wird im kommenden Winter eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von COVID-19 und begleitenden bakteriellen Infektionen spielen.“
Im Fokus der Diskussion: Wie können Marktbedingungen für Antibiotika verbessert werden?
Eine wichtige Rolle spielten auf der Konferenz den Themen politische Rahmenbedingungen und bessere Marktbedingungen. Schon lange sind sich Experten darüber einig, dass die bestehende Situation für die in dem Feld aktiven Unternehmen extrem herausfordernd ist. Vor allem die bisher an Volumen gekoppelten Erstattungsverfahren sowie die durch Generika aktuell vorherrschenden geringen Preise machen den Markt so unattraktiv, dass über die vergangenen Jahrzehnte immer mehr große Pharma-Unternehmen den Rückzug aus der Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika vollzogen haben und dadurch weniger neue Antibiotika auf den Markt gekommen sind. Schon seit Jahren gibt es nun in der AMR Community eine Debatte darüber, mit welchen sogenannten PULL Incentives Regierungen die Nachfrage ankurbeln können. Auf der Konferenz befassten sich mehrere Sessions genau mit diesem Thema. Diskutiert wurde unter anderem ein Pilotprojekt in Großbritannien, das die Erstattung neuer Antibiotika auf Basis eines Netflix-artigen Modells ermöglichen soll.
BEAM Alliance und globale Partner veröffentlichen Post-Konferenz-Aufruf an die europäische Politik
Am Ende der Konferenz haben zentrale Akteure ihre Position dazu in einem einem Post-Konferenz-Papier zusammengefasst. Darin wenden sich die forschenden kleinen und mittleren Firmen aus der europäischen BEAM Alliance zusammen mit international agierenden Pharma-Firmen und Investoren gemeinsam an Europa: Sie fordern die Politiker der EU-Kommission, das EU-Parlament sowie die Regierungen der Mitgliedsstaaten auf, schnellstmöglich neue Erstattungsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. (Hier geht es zum Papier)
Das von der europäischen KMU-Vereinigung BEAM Alliance entwickelte Papier wurde am Ende der Konferenz von der US-Amerikanischen KMU-Initiative The Antimicrobials Working Group (AWG), der US-amerikanischen Biotech-Organisation BIO, der öffentlich Organisation Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP), dem International Council of Biotech Associations (ICBA), der Industrieorganisation International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA), dem Investor Novo Holdings REPAIR Impact Fund, dem Pharmakonzern Pfizer Inc., der internationalen Initiative Working to Fight AMR und von Kevin Outterson, Professor, Boston University & Geschäftsführer von CARB-X unterzeichnet.
Marc Gitzinger, CEO der Schweizer BioVersys AG und Vize-Präsident der BEAM Alliance, unterstrich die große Notwendigkeit von besseren politischen Rahmenbedingungen für den Antibiotikamarkt. Die bestehenden Pull incentive-Initiativen in Großbritannien, Schweden und den USA wird zwar eine wichtige Pionierrolle eingeräumt, doch dabei dürfe es nicht bleiben. „Wir brauchen eine pan-europäische Initiative. Europa kann und muss eine führende Rolle einnehmen“, betonte Gitzinger bei der Abschlusssession am 28. August. Dame Sally Davies, für die britische Regierung als Botschafterin für das Thema AMR international tätig, begrüßte die Forderung der Biotech-Firmen und betonte, dass ein Land allein die Herausforderung nicht wird stemmen können. „Wir müssen es schaffen, dass wir alle über die Ziellinie kommen“, betonte sie und beschrieb die aktuelle Situation mit einem Hummer im Kochtopf, der langsam aber sicher weichgekocht wird und stirbt, wenn wir es nicht schaffen, das Wasser zu kühlen. Der Europa-Abgeordnete Tiemo Woelken, auf der Konferenz als Vertreter der "European Parliament MEP Interest Group on AMR" eingeladen, kündigte Unterstützung von Seiten der Parlamentarier an: "Das Thema AMR müssen Politik und Industrie als Teamplay angehen." Er wolle sich dafür einsetzen, dass das Thema von der EU Kommission im Rahmen der Verhandlungen zur neuen Europäischen Pharmastrategie auf die Agenda kommt und auch durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft weiter vorangetrieben wird.
Indien kündigt verstärkte Initiative an
Sehr deutlich wurde auf der AMR Conference, dass sich viele Akteure weltweit dem Kampf gegen Antibiotikaresistenzen bereits verschrieben haben. „Das Thema ist global und wir werden es langfristig nur global in den Griff bekommen“, betonte Renu Swarup vom indischen Forschungsministerium als Vertreterin der indischen Regierung bei der Abschlusssession am 28. August. Sie wolle sich auf Regierungsebene dafür einsetzen, dass sich auch Entwicklungsländer wie Indien international für bessere Rahmenbedingungen einsetzen – etwa im Rahmen von G20. „Die COVID-19-Krise führt uns vor Augen, dass wir gemeinschaftlich Strukturen aufbauen können. Diese sollten wir auch für den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen nutzen“, so Renu Swarup.
Catharina Boehme von der in Genf angesiedelten Organisation FIND fasste auf der Konferenz ihre Lehren aus der Corona-Pandemie zusammen. „Eine wichtige Erkenntnis ist ganz klar: Wenn der politische Wille da ist, ist die Weltgemeinschaft in der Lage Innovationen voranzutreiben.“
AMR Action Fund und "Investor Action on AMR"-Initiative
Dass es inzwischen auch in der AMR Community selbst immer mehr Initiativen gibt, insbesondere den Herausforderungen im Bereich Finanzierung zu begegnen, wurde am Donnerstag, 27. August, deutlich. In einer Session stellte der erst im Juli von mehr als 20 globalen Pharmafirmen gegründete AMR Action Fund weitere Details seiner künftigen Aktivitäten vor. Wie Silas Holland vom Pharmakonzern Pfizer berichtete, will man bis Ende 2020 operativ sein und die 5-Jahres-Investitiontsperiode im ersten Quartal 2021 starten. Um langfristig noch mehr Investoren für das Thema Antibiotikaresistenzen zu sensibilisieren, hat die britische Regierung auf der Konferenz die Initiative "Investor Action on AMR" in einer eigenen Session vorgestellt. Mehrere Vertreter unterschiedlicher Investoren – etwa der FAIRR Initiative, von Rathbone Investment Management und BMO Global Asset Management – erklärten ihre Sicht auf den Investmentcase AMR. (Hinweis: Die Session is frei verfügbar. Eine Aufnahme kann hier auf Youtube angesehen werden)
Biotech-Unternehmen AiCuris startet eigenes Inkubator-Programm
Aber auch Biotech-Firmen nehmen die Initiative selbst in die Hand, wie das Beispiel AiCuris aus Wuppertal zeigt. Die Infektionsspezialisten stellten auf der Konferenz ihr neues AiCubator-Programm vor, mit dem sie frühe Ansätze bei der Entwicklung neuer Antibiotika zielgerichtet unterstützen wollen. Dies ist Teil des größeren “PREP – Pandemic and Resistance Emergency Preparedness”-Programms, mit dem das Biotech-Unternehmen seine Aktivitäten in der Infektionsforschung bündelt, um Pandemie-Lösungen zu entwickeln. "Wir wollen die Innovationen in dem Bereich so schnell wie möglich vorantreiben und wollen gemeinsam mit externem Input unsere Ressourcen entsprechend bündeln", sagte CEO Holger Zimmermann auf der Konferenz.
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Zwei Sessions der 4th AMR Conference sind frei verfügbar und können hier auf Youtube kostenlos angesehen werden:
Spotlight on UK | The Investor Action on #AMR
https://lnkd.in/erMbNQK
Closing Session | The future of #AMR – How a new post #COVID19 policy roadmap could look like: https://lnkd.in/e4Y-h6K
Alle Infos zur Konferenz: https://amr-conference.com