„Gesundheit ist ein Menschenrecht“ – mit diesen Worten begann Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), seine Rede bei der gemeinsamen Abendveranstaltung des World Health Summit (WHS) und des Grand Challenges Annual Meeting (GCAM) Mitte Oktober in Berlin. Der WHS fand zum zehnten Mal in der deutschen Hauptstadt statt, überschnitt sich jedoch zum ersten Mal mit dem GCAM, das seit 2005 jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet und diesmal gemeinsam vom Bundesforschungsministerium, der Bill & Melinda Gates Foundation, Grand Challenges Canada sowie dem Wellcome Trust und der United States Agency for International Development (USAID) ausgerichtet wurde. Für die insgesamt rund 3.000 Experten aus aller Welt stand sowohl bei dem Grand Challenges Meeting als auch dem WHS dieses Jahr Nummer 3 der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele im Fokus: jedem Menschen auf der Welt ein gesundes Leben zu ermöglichen.
Bei der Eröffnungsveranstaltung des GCAM betonte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, dass allen Menschen vor allem ein gesundes Leben in ihrer Heimat zustehe – dadurch würden Fluchtursachen bekämpft. „Deshalb stärken wir die Forschung zur globalen Gesundheit. Wir werden Forschungsprojekte in Afrika fördern und uns so an der Initiative Grand Challenges Africa‘ beteiligen“, so Karliczek. Die Grand Challenges sind eine Reihe von Förderprogrammen rund um die Themen Gesundheitsforschung und Entwicklungshilfe, die 2003 von der Bill & Melinda Gates Foundation gegründet wurden. „Grand Challenges Africa“ wiederum ist ein Programm der Afrikanischen Akademie der Wissenschaften, das ebenfalls von der Gates-Stiftung unterstützt wird.
Global gegen Resistenzen
Viel Geld für neue Forschung und internationale Zusammenarbeit – das war auch ein roter Faden für die deutschen Politiker, die beim WHS und dem GCAM zahlreich vertreten waren: So kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, Deutschland werde die WHO über die nächsten vier Jahre mit insgesamt 115 Mio. Euro unterstützen. Zusätzlich stellt Deutschland auch für den Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR) – ein gemeinsames Schwerpunktthema der WHO, der Grand Challenges sowie der Bill & Melinda Gates Foundation – in den nächsten zehn Jahren eine große Summe bereit: „Antimikrobielle Resistenzen sind eine globale Herausforderung“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Kein Land und kein Unternehmen kann diese Herausforderung alleine meistern. Deshalb haben die G20-Staaten den Global AMR Research Hub gegründet, den Deutschland in den nächsten zehn Jahren mit 500 Mio. Euro unterstützen wird.“ Tatsächlich entstand diese globale Forschungskooperation im vergangenen Jahr auf Drängen Deutschlands, das damals die Präsidentschaft der G20-Staatengemeinschaft inne hatte. Die zentrale Geschäftsstelle des Global AMR Hub ist dementsprechend zunächst am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in Berlin angesiedelt.
Dreh- und Angelpunkt Berlin
Deutschland und Berlin werden so zu einem Zentrum der globalen Gesundheitsforschung – eine Entwicklung, die auch international nicht unbemerkt bleibt und die sowohl während des WHS als auch des GCAM in Vorträgen und Podiumsdiskussionen mehrmals thematisiert wurde. Als Grund für diese Entwicklung nannte Chris Elias, Präsident der Global Development Division der Gates-Stiftung, etwa die produktive Geschichte Deutschlands und Berlins in Bezug auf die Gesundheitsforschung: „Die Berliner Charité ist weltweit bekannt und hochangesehen. Zudem hat Deutschland Koryphäen wie Robert Koch und Rudolf Virchow hervorgebracht. Eine solch hochkarätige Expertise ist ziemlich einzigartig.“ Deutschland habe sich wegen der Nazi-Greueltaten unter dem Deckmantel der Gesundheitsforschung auf internationaler Ebene lange zurückgehalten, gab Anna Holzscheiter zu bedenken, Juniorprofessorin im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
Doch spätestens seit Anfang 2015, als Deutschland Gastgeber für die Gavi-Konferenz war, bei der mehr als 7,5 Mrd. Euro von insgesamt 31 öffentlichen und privaten Sponsoren für die Impfstoff-Allianz bereitgestellt wurden, sei das Land und insbesondere Berlin ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die globale Gesundheitsforschung, so Chris Elias. Auch Jeremy Farrar, Direktor des britischen Wellcome Trust, lobte das aktuelle Engagement hierzulande: „Deutschland geht durch seine Bereitschaft zu und die Förderung von internationalen Kooperationen in Forschung und Entwicklung mit gutem Beispiel voran.“
Dies sei laut Holzscheiter auch eine Reaktion auf von außen herangetragene Erwartungen an den Innovationsstandort Deutschland: „Viele Länder blicken derzeit auf Deutschland und erwarten aufgrund seiner ökonomischen und wissenschaftlichen Stellung, dass es seiner Verantwortung gerecht wird und sich für die globale Gesundheitsforschung stark macht.“
Das Besinnen auf die positive medizinhistorische Tradition sowie eine internationale Erwartungshaltung sind demnach zwei der tragenden Säulen, die Deutschland und Berlin zu einem internationalen Zentrum der Gesundheitsforschung werden lassen. Diese Entwicklung haben auch der Wellcome Trust sowie die Bill & Melinda Gates-Stiftung erkannt: Beide eröffneten im Oktober in Berlin die jeweils ersten und bisher einzigen Büros auf dem europäischen Festland. Doch laut Farrar gibt es auch noch Raum für Verbesserungen: „Deutschland hat extrem viele hochqualifizierte Forschungseinrichtungen. Durch diese Fragmentierung der Forschungslandschaft geht leider sehr viel Innovationspotential verloren.“ Für die Zukunft wünsche er sich mehr innerdeutsche Kooperationen, um Synergien besser zu nutzen und den Sprung von der Grundlagenforschung hin zu gesundheitsrelevanten Anwendungen schneller zu meistern.
Vorteil Multilateralismus
Neben einer langen Tradition auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung und internationalen Erwartungen spielt laut Ilona Kickbusch ein weiterer Faktor für die Entwicklung Deutschlands eine wichtige Rolle: Der Einsatz und das Engagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als Expertin für globale Gesundheitspolitik berät Kickbusch unter anderem das Bundesgesundheitsministerium und die WHO. Seit rund zehn Jahren setzt sich Merkel verstärkt für die globale Gesundheitsforschung ein. „Ich freue mich, dass der WHS und das Grand Challenges Meeting dieses Jahr verbunden wurden und bin gerne Schirmherrin dieser Veranstaltung“, betonte Merkel bei der Abendveranstaltung. Der internationale und kollaborative Gedanke beider Veranstaltungen sei aktuell besonders wichtig. „Denn gerade in Gesundheitsfragen zeigt sich der Wert der multilateralen Zusammenarbeit. Deshalb wünsche ich mir, dass dies hier nicht nur ein Forum von Spezialisten ist, sondern auch ein kräftiges Signal dafür, dass Multilateralismus Win-win-Situationen für alle auf der Welt bedeutet.“
Detlev Ganten, Gründer und Präsident des WHS sowie eine Schlüsselfigur der deutschen Biomedizin, zog ein positives Fazit. Auch er unterstrich die zunehmende Bedeutung Deutschlands und Berlins in Fragen der internationalen Gesundheitspolitik: „Es tut sich etwas – ein neuer Geist, neue Ideen und neuer Enthusiasmus sind in Berlin angekommen. Genau das brauchen wir und genau so muss es weitergehen!“