Demnächst können auch Patienten in Deutschland mit Novartis' Gentherapie Tisagenlecleucel (Kymriah) behandelt werden. Der Schweizer Pharmakonzern setzt den Einführungspreis dabei deutlich unter dem in den USA fest.
Nachdem Novartis Ende August zunächst die Zulassung seiner neuartigen Therapie durch die Europäische Kommission feiern durfte, verliert der Konzern keine Zeit bei der Einführung in die klinische Versorgung. Im Rahmen einer Presseveranstaltung in Leipzig verriet Novartis-Manager Markus Karmasin, was Tisagenlecleucel in Deutschland kosten wird: 320.000 Euro (374.000 US-Dollar). Damit liegt der Preis deutlich unter dem in den USA (475.000 US-Dollar).
Experten sehen in Tisagenlecleucel den Beginn einer neuen Ära. Die sogenannte CAR-T-Zelltherapie ist zunächst für zwei Krebsindikationen zugelassen, gegen die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) bei Patienten bis 25 Jahren und gegen das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) bei Erwachsenen. Eine Indikationserweiterung für Tisagenlecleucel gilt als wahrscheinlich. Weitere, von Novartis und anderen Firmen entwickelte Zell- und Gentherapien schicken sich an, sich in vielen Indikationen als deutlich bessere Alternativen zu den bestehenden Therapien anzubieten.
Tisagenlecleucel wird speziell für jeden Patienten hergestellt. Dabei werden ihm lebende Immunzellen entnommen, diese genetisch verändert und dem Patienten nach einem bis zu 22 Tage dauernden Herstellungs- und Produktkontrollprozess wieder zurückgegeben. Die lebenden Zellen stellen eine Einmaltherapie dar: In der großen Mehrheit der dokumentierten Fälle wird der Krebs erfolgreich bekämpft. Der in Leipzig anwesende Onkologe Peter Borchmann kennt Tisagenlecleucel von einer auch im Universitätsklinikum Köln durchgeführten klinischen Studie. Für Borchmann ist das Risiko-Nutzen-Profil mit Blick auf seine Patienten eindeutig positiv. Die durchaus vorhandenen schweren Nebenwirkungen seien – wenn die Klinik darauf vorbereitet ist – zu meistern.
Novartis wird die Anwendung in Deutschland daher auch nur in qualifizierten Spezialzentren etablieren. Neben dem Universitätsklinikum Köln und der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird laut Karmasin der Prozess von der Blutentnahme bis zur Injektion der genetisch veränderten Immunzellen derzeit noch in weitere Kliniken etabliert.
Wohl auch, um einen Einblick in die Preisgestaltung zu geben, lud die Deutschland-Tochter des Konzerns, die Novartis Pharma GmbH, Medienvertreter nach Leipzig ins Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (Fraunhofer IZI) ein. Seit Anfang 2015 arbeitet das Institut mit Novartis zusammen, um die in den USA federführend entwickelte Herstellung von Tisagenlecleucel in Europa zu etablieren. Beim Rundgang durch das Institut wurde auf die Fallstricke bei der Herstellung einer autologen, das heißt für jeden einzelnen Patienten eigens hergestellten Zelltherapie hingewiesen. Um eine Verwechslung der Therapien auszuschließen, muss ein hoher logistischer Aufwand betrieben werden. Hinzu kommt, dass die Arbeit mit lebenden Zellen deutlich aufwendiger ist, als die Bearbeitung niedermolekularer oder biopharmazeutischer Wirkstoffe. Größter Kostenpunkt ist das Personal, das auch am Wochenende in Schutzanzügen in den Reinraum muss.
Bei optimaler Auslastung können am Fraunhofer IZI in den acht Reinräumen bis zu 30 Zelltherapien im Monat hergestellt werden. Obwohl es sich bei ALL und DLBCL um relativ selten auftretende Krebsarten handelt, stockt Novartis derzeit seine Herstellungskapazitäten auf. In Stein in der Schweiz, unweit der deutschen Grenze bei Bad Säckingen, plant das Unternehmen den Aufbau einer neuen Produktionsanlage für Zelltherapien. Zunächst sollen 260 Stellen geschaffen werden, langfristig vielleicht noch 190 Positionen mehr. In den kommenden drei Jahren werden in Stein bis zu 90 Mio. CHF (78,6 Mio. Euro) investiert. Ziel sei die Etablierung einer Plattform zur Herstellung von Zell- und Gentherapien. Um den Herstellungsprozess weiter zu vereinfachen und perspektivisch die Kosten zu senken, setzt Novartis auch weiterhin auf das Know-how der Leipziger Zelltherapie-Experten. Ende August wurde die seit 2015 laufende Kooperation der beiden Partner um mehrere Jahre verlängert.
Mit Blick auf Strahlkraft nach außen und finanzielle Zuwendungen ist Novartis für das Fraunhofer IZI der mit Abstand wichtigste Kunde. Bis zum Anlaufen der Tisagenlecleucel-Produktion in Stein und anderen Orten wird die Zelltherapie übergangsweise weiterhin in Leipzig hergestellt.
© transkript.de/ml