5 Mio. Euro für Climedo
Gerade hat Climedo eine Seed-Finanzierungsrunde über 5 Mio. Euro bekanntgegeben. Leadinvestor ist die paneuropäische Risikokapitalgesellschaft Nauta Capital. Daneben haben sich Westtech Ventures aus Berlin sowie bestehende Business Angels wie Prof. Dr. Christian Wallwiener (Gründer und Geschäftsführer der WMC Healthcare) an der Runde beteiligt. Das neue Kapital wird Climedo für die Expansion innerhalb Europas und für die Weiterentwicklung der Software einsetzen: Diese soll noch patientenorientierter werden und in Zukunft die komplette Kommunikation zwischen Studienkoordinator, Ärzten und Patienten ermöglichen. Auch mehr Schnittstellen, beispielsweise zur Telemedizin und zu Wearables, sind geplant.
Durch die Digitalisierung und Dezentralisierung von Studien können massiv Kosten eingespart werden. Branchenstudien sprechen von mehreren Monaten Zeitgewinn, echtes Geld auf der Kostenseite, aber auch in Hinblick auf die Patentlaufzeit. Dies ermögliche auch kleinen Unternehmen den Zugang zu klinischen Studien, so das Unternehmen. Gleichzeitig lohne sich bisher die Zulassung von Medikamenten für seltene Erkrankungen aus Kostengründen oftmals nicht. Climedo ermöglicht durch eine datenschutzkonforme Telemedizin-Lösung für die Erhebung und Verarbeitung von Echtzeitdaten nicht nur schnellere und kostengünstigere Zulassungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sondern auch die effiziente Durchführung von Patienten-Follow-ups, etwa in Phase IV-Studien beziehungsweise Post-Market Clinical Follow-ups (PMCF). Hierfür kommen unter anderem elektronische Patientenbefragungen, sogenannte “electronic patient-reported outcomes” (ePRO), zum Einsatz. Dabei spielt ein elektronisches Tagebuch (eDiary) eine zentrale Rolle, in das alle studienrelevanten Patientendaten (Adhärenz, Symptome und weitere) eingetragen werden.
Doch halt, ist Climedo überhaupt noch ein „Start-up“? Das Digital-Health Unternehmen wurde schon 2017 von Sascha Ritz, Dragan Mileski und Veronika Schweighart in München gegründet. Wenn man die zwei Corona-Jahre abzieht, ist das Unternehmen noch immer jung. Wenn man auf die Finanzierungsseite schaut, waren die vergangenen Jahre offensichtlich erfolgreich genug, um auf 50 Mitarbeiter anzuwachsen. Hierzu haben Fördergelder, Start-up-Grants wie das EIT Health Head Start Program, aber auch Investments von Business Angels beigetragen.
Climedo hat bereits mit Kliniken wie der Berliner Charité, zahlreichen DiGA- beziehungsweise Medizinprodukte-Herstellern wie Rehago und Gelita Medical sowie Auftragsforschungsinstituten wie CERES und analyze & realize erfolgreich zusammengearbeitet. Vom Bundesgesundheitsministerium kam dann auch ein Auftrag in der Corona-Pandemie, die Infizierten über das Climedo-Tagebuch über ihre Symptome und den Krankheitsverlauf berichten zu lassen. Fast die Hälfte aller deutschen Gesundheitsämter nutze diese eDiary-Lösung für die Nachverfolgung von (Verdachts-)Indexfällen. Dies ermögliche den Behörden ein kontaktloses Monitoring ohne die tägliche, telefonische Abfrage von Symptomen der Betroffenen. Stattdessen füllen positiv Getestete und Kontaktpersonen einen digitalen Fragebogen auf ihrem persönlichen Smartphone oder Computer aus und die Gesundheitsämter sehen alle Daten in einem Echtzeit-Dashboard. Auf unerwünschte Ereignisse kann dadurch sofort reagiert werden, was laut Climedo zu einer Zeitersparnis von bis zu 80 Prozent führe.
Der |transkript.de-Redaktion beantwortete das Climedo-Management einige Fragen:
Schon 2019 wurde eine „Seed-Finanzierung in Millionenhöhe“ bekanntgegeben, ist die aktuelle eine Erweiterung oder Verlängerung oder doch etwas ganz Neues?
Climedo: Das ist richtig; im Nachhinein würden wir die Seed-Finanzierung von 2019 tatsächlich als “Pre-Seed” bezeichnen. Die Pre-Seed-Runde wurde mit Business Angels abgeschlossen, während die Seed-Runde nun von einem Venture-Capital-Unternehmen angeführt wird, mit dem wir Climedo in eine ganz neue Dimension bringen können.
Solange man im Seed-Bereich unterwegs ist, darf man sich wohl „Start-up“ nennen. Aber würden Sie sich selbst noch so bezeichnen?
Wir sehen uns definitiv noch als Start-up bzw. Scale-up. Start-up ist man unserer Meinung nach, solange man sich noch als solches fühlt und obwohl wir schon einige wichtige Meilensteine erreicht haben, haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Das frische Kapital wird uns dabei unterstützen: Bis 2024 möchten wir der europäische Marktführer für digitale klinische Datenerhebung sein.
In den fünf Jahren seit der Gründung sind immerhin zwei Jahre Pandemie dabei. Sollte man die gedanklich abziehen oder sind diese zwei Jahre sogar gerade für Ihren Digital-Health-Ansatz wie ein Turbolader gewesen?
Wir würden diese zwei Jahre auf keinen Fall abziehen – für uns waren sie zwar mit einigen Herausforderungen, aber auch unzähligen Lernmöglichkeiten und am Ende einem erfolgreichen Projekt mit den deutschen Gesundheitsämtern verbunden, bei dem wir mit unserer Software zur Pandemiebekämpfung beitragen konnten. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir konnten uns menschlich sowie als Unternehmen weiterentwickeln.
Es gibt zwar viel Bewegung in der Digitalisierung des Gesundheitssystems in Deutschland, aber auch genauso viel Kopfschütteln, Achselzucken, Abwinken – also große Verzweiflung. Haben Sie eine zündende Idee für größeren Fortschritt in diesem Bereich?
Das deutsche Gesundheitswesen ist weltweit angesehen und Vorbild für viele Länder. In den letzten zwei Jahren hat es in Hinblick auf Digitalisierung einen großen Sprung nach vorne gemacht. Sicherlich bedeutet Digitalisierung im Gesundheitswesen jedoch auch die Berücksichtigung von regulatorischen Maßnahmen, welche manchmal zwar gut eingeführt, jedoch nicht vollends effizient umgesetzt werden. Wenn wir also einen gesunden Mittelweg zwischen Entbürokratisierung und Digitalisierung finden, ohne an Datenschutz und Datensicherheit einzusparen, könnten wir möglicherweise viel schneller ein wirklich digitales Gesundheitssystem in Deutschland erreichen. Auch hier freuen wir uns, mit Climedo einen Beitrag leisten zu können.
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