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Dr. Claus Kremoser; Vorstand © Pharmaceuticals AG

Warum brauchen wir eine „Agenda Biologisierung“ für Deutschland?

Biologisierung der Volkswirtschaft – ein lohnendes Ziel
Biologisierung ist für die Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftens absolut unverzichtbar. Nur wenn wir es schaffen, durch innovative und auf biologischen Prinzipien beruhende Produkte und Verfahren von der erdölbasierten Grundstoff- und Kunststoffchemie weg hin zu einer nachhaltigen Produktion ohne CO2-Emission und ohne Ressourcenschuld zu kommen, haben wir eine Chance, unseren komfortablen Wohlstand halten zu können. Biologisch hergestellte Medikamente sind heute schon Grundpfeiler der modernen Medizin. Biologisch hergestellte und abbaubare Kunststoffe oder aus Abfällen biologisch produzierte Treibstoffe sind heute schon machbar, konkurrieren aber mit den noch billigeren Produkten der Petrochemie.

Eine biologiebasierte ist eine wissensbasierte Industrie. Sie bietet eine höhere Wertschöpfung bei geringerem Ressourcenverbrauch und dadurch ein qualitatives Wachstum und zukunftsfähige Beschäftigung. Um uns dieser nachhaltigen Zukunftsvision anzunähern, benötigen wir eine konzertierte Aktion auf verschiedenen Feldern politischen Handelns. Die vielen guten Ideen, die die deutsche akademische Forschung liefert, finden bislang nicht Ausdruck in Innovationen, die unser Leben wirklich verändern. Es gibt zu wenige Start-up-Firmen, die das unternehmerische Risiko der Umsetzung von der Idee zum Produkt eingehen. Etablierte Großunternehmen dagegen, das zeigen viele Bespiele, sind nicht in der Lage, disruptive Innovationen vorzudenken und umzusetzen. Wo noch kein Markt ist, kann keine Marketingabteilung Umsätze prognostizieren. Lieber investiert man in Schummelsoftware als in Elektroantriebe. Deshalb werden die entscheidenden Innovationen, die für eine Biologisierung benötigt werden, größtenteils in KMU entstehen. Und diese KMU benötigen viel Risikokapital. Hier ist das Finanzressort gefragt, um steuerliche Anreize zu schaffen, so dass zumindest ein Teil unserer Lebensversicherungen und Spareinlagen, die im Moment renditelos und ohne produktiven Beitrag für unsere Zukunft dahinschmelzen, in Risikokapitalfonds allokiert werden können. Renditen werden diese Fonds aber nur erwirtschaften, wenn auch erkennbar ist, wie der Kapitalrückfluss erfolgen kann. Dazu benötigen wir einen auf Hightech-Firmen spezialisierten Börsenhandelsplatz, idealerweise einen pan-europäischen.

Zusammengefasst benötigen wir eine koordinierte Strategie, die eine umsetzungsorientierte Forschungs- und Technologiepolitik und ein KMU-Innovations-Finanzierungssystem miteinander verbindet, das einerseits Risikokapital bereithält und andererseits vernünftige Renditen ermöglicht. Das ist nicht nur auf Biotech-Firmen beschränkt, sondern wird generell disruptiven Innovationen, auch im IT-Sektor, zu Erfolgen verhelfen. Es gibt also viele Parallen zu den Erfordernissen einer „Digitalisierungs-Agenda“. Denn Glasfaserkabel verlegen und Schulen mit Tablets ausstatten wird nicht ausreichen, um uns in Zukunft deutsche IT-Weltmarktführer zu bescheren. Das setzt ein verändertes Denken bei allen Beteiligten, vor allem bei den politisch Verantwortlichen voraus. Hier gibt es genügend Möglichkeiten für die neue Regierung, zu beweisen, dass sie eben nicht nur für „weiter so“, sondern für einen echten Aufbruch in eine nachhaltige Zukunft steht. 

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