Spezial
Dr. Georg Lautscham; Vorstands­vorsitzender, Protagen AG

Die Wüste lebt! – Innovationsfinanzierung in Deutschland

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nicht darauf ausgerichtet, mehr Kapital in den Sektor zu treiben. Durch politische Weichenstellungen wäre eine Verbesserung möglich, allein der politische Wille scheint limitiert. Die benötigten Zeiträume sind zudem kaum abschätzbar. Auf die von Claus Kremoser an dieser Stelle eingeforderte Agenda Biologisierung (Vgl. |transkript 5/18) wird man leider wohl noch eine Weile warten müssen. Bis dahin gilt es, innerhalb des vorhandenen Korsetts die Entwicklung des Sektors bestmöglich voranzutreiben. Es ist unbestritten, dass es uns in Deutschland nicht an exzellenter Forschung und erstklassigen Ideen mangelt. Ob aber eine solche Idee zu einer disruptiven Innovation wird, die sich am Markt bewähren kann, ist damit noch lange nicht gewährleistet. Persönliche Eitelkeiten, ausgeprägter Forschungsinstinkt und limitierte finanzielle Ressourcen sowie oftmals fehlende Kommerzialisierungsoptionen beziehungsweise der fehlende Kommerzialisierungswille stehen der Entwicklung einer disruptiven Innovation und einer schnellen, nachhaltigen Firmenentwicklung im Weg. Viel zu selten wird diese geradlinig verfolgt. Oft wird das nötige Risiko gescheut. Viele der Probleme sind dabei nicht branchenspezifisch, aber speziell in unserer Branche kommen oft lange Entwicklungszyklen und ein hoher Kapitalbedarf noch hinzu. Um im Konkurrenzkampf mit anderen Industrien bestehen zu können, muss man auf Investorenseite Vertrauen und einen langen Atem haben sowie eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit verspüren, zu einem vielversprechenden ROI kommen zu können.

In meinen Augen bedarf es einer klaren ‚Mindset‘-Änderung bei Unternehmern und Investoren. Die oft versuchte Risikominimierung durch Diversifizierung, breit aufgestellte Pipelines oder zusätzliche Forschungsvorhaben und der Wunsch nach einer Querfinanzierung durch Umsätze ist zwar verständlich, steht aber dem vorrangigen Ziel einer nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens entgegen. Oftmals fehlen eine klare Kommerzialisierungsvision und -strategie, die fortwährend hinterfragt und konsequent verfolgt werden. Der dafür ermittelte Finanzierungsbedarf muss mit den Investoren besprochen und durch eine möglichst langfristige Finanzierung ermöglicht werden. Die derzeitigen Finanzierungszeiträume sind in Deutschland meist zu kurz und binden zu viele (Management-)Ressourcen. Vor allem bei älteren Unternehmen entsteht oft ein Teufelskreis aus immer kürzeren Finanzierungszeiträumen und damit einhergehender verzögerter Produktentwicklung. Nur das nachhaltige Vertrauen in die eigene Innovation und das Marktpotential des Produkts kann zum Erfolg führen. Ist dieses Vertrauen an einer Stelle nicht gegeben, gilt es besser früh als spät die Konsequenzen zu ziehen.

Letztendlich sitzen Unternehmer und Investoren in einem Boot: Schaffen sie es, in die gleiche Richtung zu rudern, ist die Entwicklung einer disruptiven Innovation beziehungsweise eines Produkts, das sich am Markt bewähren kann, auch mit im globalen Wettstreit knappen Ressourcen möglich. Ist die Bereitschaft zu einer längerfristigen Finanzierung nicht gegeben oder können neue Investoren nicht eingebunden werden, muss die Reißleine gezogen und zum Beispiel über eine Geschäftsaufgabe oder die Veräußerung von Geschäftsteilen ernsthaft nachgedacht werden. Der positive Nebeneffekt: Mehr Ressourcen werden für andere Innovationen frei, die Gesamtzahl der erfolgreichen Firmenentwicklungen und Exits steigt, das Vertrauen der Investoren in die Branche wächst – und damit auch die Branche selbst. Das Potential ist auch unter den derzeitigen Rahmenbedingungen definitiv vorhanden. Nur Mut, die Wüste lebt!

  

Erschienen in |transkript 09/18