„Warum bohren, wenn es auch sanfter geht?“

Im Interview berichtet Angela Liedler, CEO der Precisis AG, über den neuen strategischen Partner, die Millionenfinanzierung und nächsten Schritte.

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Eine risikoarme Hirnstimulation für Epilepsie-Patienten – eingesetzt unter der Kopfhaut statt tiefer Schädelbohrung. Diesen Ansatz verfolgt die Precisis AG aus Heidelberg. medtech zwo sprach mit Angela Liedler, CEO, über den neuen strategischen Partner, die Millionenfinanzierung und nächsten Schritte.

  • medtech zwo. Seit 2014 entwickeln Sie das minimal-invasive EASEE-Verfahren – also dünne Elektrodenplättchen, die unter die Kopfhaut eingesetzt werden, um Epilepsie-Patienten zu behandeln. Wie entstand die Idee?

Liedler. Als ich 2014 als Geschäftsführerin zur Precisis gekommen bin, war die Firma noch auf Navigationsgeräte spezialisiert, die Chirurgen bei der Operationsplanung für die tiefe Hirnstimulation geholfen haben. Damals stand ich oft mit am OP-Tisch, wenn die bis zu acht Zentimeter tiefen Bohrungen durch die Schädeldecke der Patienten gemacht wurden, und als Ärztin habe ich mich gefragt: da muss es doch eine elegantere, sanftere Lösung geben, insbesondere für funktionale Gehirnerkrankungen, deren Ursprung im oberflächlichen Bereich des Gehirns liegt, wie das bei vielen Epilepsie-Patienten der Fall ist. Denn gerade hier stehen Aufwand und Nutzen nicht im Verhältnis. Warum ins Gehirn bohren, wenn es auch einfacher und Patienten-freundlicher geht?

  • medtech zwo. Das klingt sehr naheliegend und doch hat es zuvor niemand anders probiert. Was waren denn die Herausforderungen dieses Ansatzes? 

Liedler. Zu diesem Zeitpunkt gab es gar keine Methode oder Produkt, um durch die Schädeldecke hindurch eine genaue und individualisierte Hirnstimulation umzusetzen. Alle Wettbewerber im Markt haben entweder Nadelelektroden eingesetzt oder Hirnnerven mit Draht umwickelt. Das war der Punkt, an dem wir überlegt haben, dass eine kleine dünne und flache Elektrodenmatte – dauerhaft eingesetzt unter die Kopfhaut – der bessere Weg sein könnte. Damals habe ich selbst eigenes Geld investiert, die passenden Leute ins Team geholt und von Privatinvestoren sowie Fördermittel-Gebern schrittweise das nötige Kapital für die weiteren Schritte besorgt: Das begann mit ersten Tierversuchen an Ratten mit akademischen Partnern am MIT in Boston, die ich noch aus früheren Zeiten kannte, bis hin zu den klinischen Studien unter Federführung des Universitätsklinikums Freiburg, die 2019 gestartet sind. 

  • medtech zwo. Wie haben Sie die Finanzierung über die Jahre geschafft?  

Liedler. Ich hatte zunächst auf den üblichen Investorenkonferenzen nach geeigneten Geldgebern Ausschau gehalten, aber schnell gemerkt, dass uns damals noch nicht zugetraut wurde, ein so komplexes Gerät tatsächlich erfolgreich auf den Markt zu bringen. . Da wir Gründer auch selbst mit eigenem Geld dabei sind, wollten wir nicht schon in einem frühen Stadium größere Anteile abgeben. Daher haben wir uns eher auf Privatinvestoren und Family Offices konzentriert. Das hat über die Jahre, immer mit kleineren Tranchen, sehr gut funktioniert.

  • medtech zwo. Wo stehen Sie aktuell mit der Produktentwicklung?  

Liedler. Wir haben uns von Anfang an auf die Zulassungsprozesse der neuen EU-MDR eingestellt und daher nicht nur die Zuverlässigkeit sowie Sicherheit des Produkts, sondern auch seine Wirksamkeit belegt. Die nötigen Daten für die Zulassung sind jetzt beisammen und wir haben sie inzwischen eingereicht. Wir rechnen damit, die CE-Zertifizierung im Frühjahr 2022 zu erhalten.  

  • medtech zwo. Nun haben Sie eine 20-Millionen-Finanzierung durch den australischen Hörimplanate-Hersteller Cochlear Limited erhalten. Wie kam es dazu?

Liedler. Ende 2020 haben wir uns um eine weitere größere Finanzierungsrunde bemüht – um den finalen Schritt in den Markt umsetzen zu können. Wir standen vor der Wahl, VC-Investoren ins Boot zu holen oder eher strategisch ausgerichtete Partner. Wir haben uns für letztere entschieden, damit wir auch einen maximalen Mehrwert aus so einer Partnerschaft ziehen können. Bei der Auswahl der Investoren gab es unterschiedliche Schwerpunkte. Cochlear war uns nicht nur von der Unternehmenskultur her sympathisch. Wir haben uns auch bewusst für jemanden entschieden, der noch keine Epilepsie-Produkte hat. Wir sehen bei Cochlear eine große Kompetenz im globalen Marktzugang und Vertrieb sowie im Bereich der technologischen Weiterentwicklung von Silikon- und metallbasierten Implantaten.

  • medtech zwo. Wie sind Sie aktuell in der Fertigung aufgestellt, und welche Herausforderungen gab es hier? 

Liedler. Wir haben uns für die Produktion unter anderen auch Osypka als externen Partner an Bord geholt und sind gemeinsam den komplexen Weg der Design-Entwicklung und Produktionsschritte gegangen. Hier gab es häufige Optimierungen im Detail, denn bei unserem Produkt kommen mehrere Punkte zusammen: Es braucht Elektronik, biokompatibles Material und eine Softwarekomponente, sodass sich die Stimulationsparameter der Plättchen von außen individualisiert steuern lassen. Aus Produktionssicht bedeutet das aktuell noch viel Handarbeit.

  • medtech zwo. Sie sind eine der wenigen Frauen, die an der Spitze eines Medizintechnik-Unternehmens stehen. Welchen Einfluss hatte das auf die Firmenentwicklung?

Liedler. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das nicht allein schaffen kann und will. Ich bin Allgemeinmedizinerin von der Ausbildung her und hatte schon früher ein Unternehmen gegründet und zu einem stattlichen Firmenwert geführt, damals noch mit Fokus im Pharmageschäft. Die Themen klinische Entwicklung und Patientenorientierung sind mir vertraut, für die entwicklungstechnischen Themen, die Elektronik, die Kabel und die Software habe ich Michael Tittelbach als Chief Technology Officer gewinnen können, der über zwanzig Jahre bei Biotronik gearbeitet hat und aus Überzeugung und mit höchster Motivation dann den Risikojob eines Start-ups eingegangen ist. Insgesamt ist die Arbeitsteilung in unserem Team ideal, wir stärken die Stärken einer jeden Person und erreichen so sehr effizient unsere Meilensteine. Letztlich betrachten wir diese erfüllende professionelle Atmosphäre als ausschlaggebend dafür, dass wir unsere Privatleben auch abseits der Firma genießen können. Das war mir wichtig. 

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