European Commission

Von der Leyen: Biotechnologie nicht erwähnt

In der Rede vor ihrer Bestätigung als EU-Kommissionspräsidentin hat Ursula von der Leyen Interessantes weggelassen, vor allem aber die Biotechnologie.

ANZEIGE

Bevor das Europaparlament Ursula von der Leyen mit 401 von von 719 Stimmen bestätigte – 32 mehr über der absoluten Mehrheit von 360 Stimmen als fünf Jahre zuvor – hielt sie eine Rede, die nach dem Green Deal der vorangegangenen Legislatur neue Prioritäten setzt.

Militärische Aufrüstung, um Europa mit einem luftgestützten Abwehrsystem auch ohne die USA gegen externe Feinde der Demokratie zu rüsten, eine Verdreifachung der Stärke der grenzsichernden Söldnertruppe Frontex – mit weit über 2 Mrd. Euro schon jetzt die höchstgeförderte EU-Agentur – und eine Verdoppelung der Stärke der EU-Polizei Europol sollen Grenzübertritte und unkontrollierte Migration verhindern.

Neben der Rüstung gegen äußere und innere Bedrohungen der Demokratie, wie die Erstarkung der Ultrarechten in Europa, verkündete die Unionspolitikerin den Ersatz des bisherigen Green Deals durch einen Clean Industry Deal, der zwar das Dekarboniserungsziel der  EU-Grünen von 90% bis 2040  bestätigt, aber als „erste Priorität Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit“ im Fokus hat. Um Europas Rückfall in zahlreichen Innovationssparten gegenüber China und den USA zu kompensieren, versprach von der Leyen weitere Entbürokratisierung, Planungssicherheit für Unternehmen und einen neuen Fonds, mit dem ein Finanzierungsökosystem geschaffen werden soll, das jenem in den USA nicht nachsteht und europäische Firmen in Europa halten soll.

Am bemerkenswertesten an von der Leyens Rede waren für Biotechnologen aber die Dinge, die darin nicht erwähnt wurden: Der neue Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit „wird sich auf gemeinsame und grenzüberschreitende europäische Projekte konzentrieren, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation vorantreiben – vor allem zur Unterstützung des Clean Industrial Deal. Er wird sicherstellen, dass wir strategische Technologien entwickeln und hier in Europa herstellen“, sagte von der Leyen.  „Von KI bis Cleantech – die Zukunft unseres Wohlstands muss in Europa gemacht werden.“ Dass – anders als in ihrer bejubelten State-of-the-Union-Rede 2023 – die dort als dritter strategischer Pfeiler des Green Deals priorisierte Biotechnologie nicht genannt wird, muss nachdenklich stimmen – insbesondere im Lichte des im Frühsommer dieses Jahres von Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager in Aussicht gestellten BiotechnologyAction Plans 2025. Wie Singen im dunklen Wald klang die Gratulation der EU-Biotechnologie-Interessenvertretung EuropaBio: „Wir begrüßen die Wiederwahl von Präsidentin von der Leyen und ihr Engagement für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Widerstandsfähigkeit bei gleichzeitiger Förderung der biotechnologischen Revolution zur Modernisierung unserer Volkswirtschaften in der Europäischen Union. EuropaBio erinnert an die Zusage von Präsidentin von der Leyen, im Jahr 2025 ein EU-Biotech-Gesetz vorzulegen, den Clean Industrial Deal zu unterstützen und den Zugang zu billiger, nachhaltiger und sicherer Energieversorgung und Rohstoffen für die Industrie, einschließlich der Biotechnologie, zu vereinfachen, zu investieren und zu gewährleisten (Netto-Null-Technologie).“ Einige Tage vor von der Leyens Rede hatte der deutsche Biotech-Verband BIO Deutschland ein Positionspapier „Mit Biologie wirtschaften: Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Wirtschaft auf Basis der Biotechnologie“ vorgelegt, das die Bedeutung der Biotechnologie für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft betont. Zum Glück findet sich ein Hinweis auf den EU Biotech Act, der den Technologietransfer verbessern soll, zumindest in den für von der Leyen verbindlichen Guidelines für ihre nächste Legislatur. Dort heißt es: „I want Europe to make the most of the biotech revolution. Biotechnologies, supported by AI and digital tools, can help modernise entire parts of our economy, from farming and forestry, to energy and health.“ Also nur die bereits gewohnte öffentliche Nicht-Erwähnung der Biotechnologie?

Nicht ganz. Denn die in Aussicht gestellte Stärkung der EU-Landwirte in von der Leyens Rede klingt eher nach einer Besetzung des von ultrarechten Staatslenkern wie Victor Orban und Giorgia Meloni propagierten Themas „Stärkung der traditionellen Landwirtschaft“.  Zur Erinnerung: Im EU-Agrarministerrat Mitte Juli hatte die ungarische Ratspräsidentschaft die Absicht erklärt, das Thema Neue Genomische Techniken (NGT) grundsätzlich neu diskutieren zu wollen – Ungarn stimmte im Agrarministerrat stets gegen die angedachte Deregulierung. Genau wie von Italien bereits etabliert und von der alten EU-Kommission angegriffen, will Orban ein Vermarktungsverbot zellbasierter Lebensmittel, deren Nährstoffprofil und CO2-Fußabdruck biotechnologisch optimiert wurde und die weltweit in den Markt drängen – vor allem in Asien und den USA.

Positiv stimmt aber von der Leyens Zustimmung, klimaneutrale Treibstoffe in Kfz und Schwerlastverkehr zulassen zu wollen. Insgesamt spricht sie von Technologieoffenheit. Mit Spannung ist zu erwarten, was die neue Kommissionspräsidentin damit meint und wie sie die neuen Prioritäten finanzieren will. Gegen das absehbare Überschreiten des EU-Budgets und eine Neuverschuldung stimmte die deutsche FDP, während die europäischen Grünen von der Leyen mehrheitlich stützten.

SIE MÖCHTEN KEINE INFORMATION VERPASSEN?

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter