Rentschler verabschiedet sich von Zelltherapie
Die Rentschler Biopharma SE macht eine strategische Kehrtwende. Das Auftragsentwicklungsunternehmen für Biopharmazeutika (CDMO) mit Hauptsitz in Laupheim zieht sich komplett aus der Zell- und Gentherapie zurück und stellt die damit verknüpften Aktivitäten am Standort Stevenage, Großbritannien, ein. Die Marktbedingungen sowie das wachsende Kundeninteresse an traditionellen biopharmazeutischen Produkten hätten zu dieser Entscheidung geführt.
Rentschler Biopharma kündigt eine strategische Neuausrichtung an, bei der das Unternehmen seine Aktivitäten in der Zell- und Gentherapie einstellt und sich künftig stärker auf Biologika konzentriert. Der Standort in Stevenage, Großbritannien, wird geschlossen. Dieser Schritt folgt der Entscheidung, in Bereiche mit größerer Nachfrage und Potential zu investieren.
CEO Benedikt von Braunmühl betonte, dass Biologika weiterhin im Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit stehen. „Als Innovationsführer evaluieren wir kontinuierlich neue Ansätze, um den Bedürfnissen unserer Kunden und ihrer Patienten gerecht zu werden“, sagte von Braunmühl. Der Markt für Zell- und Gentherapie habe sich langsamer entwickelt als erwartet, und die branchenübergreifende Nachfrage hätte nicht die Erwartungen erreicht. „Nach einer umfassenden strategischen Überprüfung haben wir daher entschieden, unsere Aktivitäten auf jene Bereiche zu konzentrieren, in denen wir die größte Nachfrage und das beste Potential sehen. Biologika bleiben für unsere Geschäftstätigkeit von zentraler Bedeutung, während wir weiterhin andere potentielle Modalitäten evaluieren“, kommentierte der CEO den Strategieschwenk zurück auf das ursprüngliche Kerngeschäft.
Das Unternehmen plant, weiteres Wachstum durch strategische Investitionen voranzutreiben, wie die kürzlichen Erweiterungen in Laupheim mit der größten Einzelinvestition des Unternehmens am Standort Deutschland zeigen. Auch am Standort Milford, USA, werde weiter investiert, um mit diesen Maßnahmen die Produktionskapazitäten und Synergiegewinne von Rentschler Biopharma grenzüberschreitend kontinuierlich zu erweitern. Rentschler beschäftigt an den beiden verbliebenen Standorten rund 1.400 Mitarbeiter.
Die Entscheidung des Mittelständlers habe nichts mit dem Standort Stevenage oder der dortigen Kompetenz und Qualität der Bearbeitung von Projekten zu tun, heißt es aus dem Unternehmen. Der Standort war 2021 noch unter dem damaligen Rentschler-CEO Frank Mathias mit einigen Millionen einer Landesförderung der Briten zur Etablierung eines Industriezentrums für die Zell- und Gentherapie rings um UK-Catapult aufgebaut worden. Die Entscheidung sei rein strategisch zu verstehen, was auf den ersten Blick merkwürdig konträr zu einer sich aufbauenden Welle an neuen Zelltherapeutika (ATMPs) in den Pipelines der globalen Pharmafirmen, aber auch vieler einzelner Biotech-Unternehmen wirkt. Zelltherapien erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und auch die Marktaussichten für die Zelltherapie sind hervorragend. Bis 2034 prognostiziert Transparency Market Research Inc. ein rasantes Wachstum von 20,8 Prozent pro Jahr und erwartet, dass der Markt Ende 2034 ein Volumen von 44,6 Mrd. US-Dollar erreichen wird. Zum Vergleich: Ende 2023 betrug der weltweite Umsatz der Branche erst 4,8 Mrd. US-Dollar. Zu den wichtigsten Akteuren auf dem Zelltherapiemarkt gehören Branchenführer wie Novartis, Bristol-Myers Squibb, Iovance Biotherapeutics, Janssen Biotech, CellTrans, Gamida Cell, Dendreon Pharmaceuticals, Kite Pharma, Adaptimmune und Takeda Pharmaceutical Company.
Doch bis 2034 ist noch ein langer Weg. Das prognostizierte Wachstum mag sich zudem nicht ganz gleichmäßig auf diese Wegstrecke verteilen, da kann es für ein mittelständisches Dienstleistungsunternehmen schwierig werden. Auch treffen die hohen Kosten solcher Therapien auf immer mehr Gegenwind der Krankenkassen, die in vielen Gesundheitssystemen der verschiedenen Länder vor der Herausforderung der immer älter werdenden und dabei oft auch in den späten Jahren immer kränker werdenden Bevölkerung stehen. Ein Selbstläufer werden die Zelltherapien daher wohl kaum. Und ein Land wie Indien bemüht sich derzeit vehement, die hohen Produktionskosten der individuellen Behandlung auf ein Minimum zu reduzieren und fertigt CAR-T-Therapien schon deutlich günstiger im eigenen Land.
Auch nationale Initiativen wie die bundesdeutsche Zell- und Gentherapiestrategie haben für Rentschler keine Bedeutung mehr oder kamen schlicht zu spät. Die weiter wachsenden Kundenanfragen aus dem weiten Feld der Antikörper und Antikörperderivate, die mit diversen Anhängseln wie Toxinen oder Isotopen als ADC oder Radiopharmazeutika gerade einen nächsten Innovationsschub erleben, sind den Strategen in Laupheim da wohl einfach das Näherliegende gewesen.