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Trump kündigt 100% auf patentierte Arzneimittel an

Über Nacht hat US-Präsident Donald Trump bisherige Zollabsprachen mit Großbritannien und der EU gebrochen und angekündigt, ab 1. Oktober patentierte Arzneimittel, die nicht in den USA produziert weden, mit 100 % Zoll zu belegen .

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Zölle auf Arzneimittel sind etwas bisher nie Dagewesenes, da es bislang Konsens war, dass die Patientenversorgung Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Diese Wertvorstellung hat US-Präsident Donald Trump gestern Nacht für die USA über Bord geworfen. Patentgeschützte Arzneimittel, die nicht in den USA hergestellt werden oder deren Hersteller nicht in den USA investieren, will er ab 1. Oktober mit 100% Einfuhrzoll belegen und so die Hersteller zwingen, Produktionsstätten in den USA zu bauen oder zu nutzen.

Dass dazu Investitionen aus anderen Regionen abgezogen werden, ist gut am Beispiel Großbritannien zu sehen. Dort zogen im September die Unternehmen Merck & Co, Eli Lilly & Company, AstraZeneca und Sanofi Investitionszusagen im Gegenwert von insgesamt 2 Mrd. US$ zurück, nachdem Verhandlungen über höhere Arzneimittelpreise gescheitert waren oder man unzufrieden mit der Regierungsunterstützung bei der Umsetzung war. Mit Trumps Ankündigung dürfte die im Mai mit der britischen Regierung vereinbarte „preferred Partnership“ in den Life Sciences in Frage stehen.

Trumps Handels-Kriegserklärung sorgt in Europa für Lähmung, aber auch für Kampfbereitschaft: Der Sprecher des Handelskommissars der Europäischen Kommission verlautbarte: „Die klare, pauschale 15 %-Zollobergrenze für EU-Exporte stellt eine Versicherung dar, dass für europäische Wirtschaftsakteure keine höheren Zölle entstehen werden.“ Die Schweizer Interessenvertretung scienceindustries sprach hinter vorgehaltener Hand von einem Preishammer mit vielen noch zu klärenden Details. Annette Luther, Präsidentin von scienceindustries forderte: „Die Schweiz muss sich jetzt entschieden für offene Märkte und faire Bedingungen einsetzen und alle diplomatischen Hebel nutzen, um den Zugang zum US-Markt zu sichern.“ Die USA sind laut scienceindustries mit 25% Exportrate der zweitwichtigste Arzneimittelexportmarkt für Schweizer Arzneimittelhersteller. In die EU-Mitgliedstaaten werden zwar 51% der Schweizer Arzneien exportiert, der Packungspreis liegt aber deutlich unter jenem in den USA.

Der Präsident des mächtigen deutschen Pharmaverbandes vfa dagegen schlug andere Töne an: „Die angekündigten Importzölle von 100 Prozent hätten gravierende Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten, verteuerten die Produktion von Arzneimitteln und gefährdeten die Versorgung von Patientinnen und Patienten – sowohl in den USA als auch in Europa. Wir sehen schon jetzt, dass Investitionen am Standort eingefroren werden. Das ist das Letzte, was der Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt braucht“, sagt vfa-Präsident Han Steutel. Rund 25% der deutschen Pharmaexporte gehen in die USA, was 2024 etwa 27 Mrd. Euro entspricht. In früheren Statements hatte Steutel betont, dass der EU-Pharmamarkt die Größe des US-Marktes bei weitem übertreffe. Man müsse nun die Fragmentierung überwinden und den USA geschlossen mit einem EU-Binnenmarkt die Stirn bieten.

Ins gleiche Horn blies Nathalie Moll, Direktorin der Europäischen Föderation der Pharmaindustrieverbände (EFPIA), und meldete dringenden Gesprächsbedarf an: „Die EU und die USA haben bereits ein Handelsabkommen; es sind dringend Gespräche nötig, wie Zölle auf Medikamente vermieden werden können, die Patienten in der EU und den USA schaden.“

Irlands stellvertretender Premierminister Simon Harris erklärte, dass man die Auswirkungen der Ankündigung prüfen werde, betonte jedoch, dass die gemeinsame Erklärung vom 21. August über das EU-US-Zollabkommen „absolut klar gemacht habe, dass alle neuen von den USA unter ihrer Section-232-Untersuchung angekündigten Zölle auf Pharmazeutika auf 15 % für von der EU exportierte Produkte begrenzt wären“.

Eine Sprecherin des deutschen Biotechnologieverbands BIO Deutschland erklärte, wie sich die Situation auf deutsche Biotech-Unternehmen auswirkt: „Die USA sind ein wichtiger Markt für deutsche Biotechnologieunternehmen. Zölle in Höhe von 100 % stellen daher eine große Herausforderung für Biotechnologieunternehmen dar. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass die US-Regierung die Preise für innovative Biopharmazeutika ebenfalls deutlich senken will. Vorprodukte für die Produktion stammen aus der ganzen Welt, und eine Handelspolitik mit hohen Zöllen gefährdet Lieferketten und damit eine verlässliche und bezahlbare Patientenversorgung. Für einige Unternehmen könnte eine Verlagerung der Produktion in die USA eine Option sein. Für die meisten Unternehmen der Branche, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, ist dies jedoch kaum oder nur sehr langsam umsetzbar. Europa sollte nun alles daransetzen, Europa als Standort für Biotechnologie zu stärken.“

Die neue Zollbedrohung kommt nur wenige Tage, nachdem die USA auch eine Section-232-Untersuchung zu Diagnostika und Medizintechnik eröffnet haben.

Überraschend zurückhaltend war die Reaktion der chinesischen Regierung, da China nur sehr wenige patentierte Arzneimittel in den USA verkauft (4%), dafür aber kritisch für die Versorgung mit APIs und Generika ist, die fast 90% der Arzneimittelverordnungen in den USA ausmachen. Das chinesische Wirtschaftsministerium forderte Unternehmen auf, sich nicht an einem Preiskampf zu beteiligen.

Nach Angaben von Jeremy Levin, einem der einflussreichsten Biotech-CEOs in den USA, sind Unternehmensbefragungen zufolge 90% der US-amerikanischen Biopharma-Unternehmen von mindestens einem chinesischen Lohnhersteller oder Zulieferer abhängig. Die US-Notenbank warnte vor erhöhten Inflationsrisiken durch die Pharma-Zölle.

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