Andera Partners

Investoren-Interview: Olivier Litzka, Andera Partners

Die Stimmung ist zwiespältig. Je nachdem, mit wem man spricht, hört man eher alte Klagelieder, etwas von Hoffnung auf bessere Zeiten oder sieht schon ganz konkret den Silberstreif am Horizont. Denn 2023 lieferte sehr gemischte Zahlen, in den USA, aber auch in Deutschland. Zeit für eine Standortbestimmung mit einem erfahrenen Investor.

ANZEIGE

Die Stimmung ist zwiespältig. Je nachdem, mit wem man spricht, hört man eher alte Klagelieder, etwas von Hoffnung auf bessere Zeiten oder ganz konkret „die Trendwende ist da“. In der Tat war das vergangene Jahr eines der schwierigsten Biotech-Jahre, aber das liegt wohl auch an der Perspektive. An den internationalen Börsen ging es nicht nach oben, Start-ups hatten es schwer oder gaben irgendwann auf, eine Anschubfinanzierung zu finden. Auch die großen Laborausrüster mussten lernen, dass Pandemie nicht immer Pandemie ist und Reagenzien, Kits und alles, was man für eine Analyse oder einen PCR-Test braucht, nicht mehr wie warme Semmeln verkauft werden können.

Aber auf der anderen Seite lief die Finanzierung bei privaten und börsennotierten Firmen zumindest in Deutschland besser als 2022 und sehr ähnlich wie vor der Pandemie. Die aktuelle Stimmungslage wird in |transkript, Ausgabe 1-24 skizziert. Darin kommen die VC- und Finanzierungsexperten Hubert Birner (TVM), Karl Nägler (Wellington Partners), Matthias Kromayer (MIG Capital) sowie Mathias Klozenbücher (FCF Corporate Finance) zu Wort. Sie beschreiben einen „Silberstreif am Horizont“  oder (wie Matthias Kromayer) erwarten sogar einen „Spitzenjahrgang 2024“ an Investitionsmöglichkeiten.

An dieser Stelle im Interview Olivier Litzka, Andera Partners, über die Situation und neue Trends .

|transkript: Herr Litzka, wie sehen Sie das vergangene Jahr?

Olivier Litzka: 2023 war schwierig für viele Biotech-Unternehmen. Das kam nicht überraschend für diejenigen, die schon eine Weile dabei sind, viel gesehen und erlebt haben. Der hohe Ausschlag im Jahr 2021 musste zu einem Rückschlag führen. Aber das letzte Jahr war wieder ein unglaublich gutes M&A-Jahr, für sehr weit fortgeschrittene Produkte in etablierten, meist börsennotierten Firmen. Das ist der Beginn eines neuen Aufbruchs, einer Trendwende. Die ganze Branche beginnt, sich aus dem Tal herauszuarbeiten.

|transkript: Also kein Grund Trübsal zu blasen?

Litzka: Die bekannte Patentklippe, das Auslaufen vieler Originalpräparate, ist eine Realität. Es kommt unweigerlich und zwischen 400 und 500 Mrd. US-Dollar sind von diesen Patentabläufen betroffen. Das ist auch ein Grund für den Late-stage-M&A-Boom, sowohl in Pharma als auch in Medtech, wie zum Beispiel von dem von uns 2012 mitgegründeten und langjährig unterstützten Unternehmen Axonics, das gerade für einen mehrstelligen Milliardenbetrag von Boston Scientific übernommen wurde. Denn Pharma tut alles, um diese Umsatzausfälle zu kompensieren. Natürlich haben es Biotechs mit einer frühen Pipeline im Moment schwerer, weil sie nicht so schnell neue Umsätze zu einem Pharmapartner bringen. Aber wenn die spätere Pipeline eingekauft ist, wenn verschiedene Produkte auf dem Markt bei Pharma gelandet sein werden, dann wird Pharma auch bei den frühen Firmen wieder anklopfen.

|transkript: Das heißt, man muss nur abwarten können? Aber ist das nicht genau die Schwierigkeit für knapp finanzierte Biotech-Firmen?

Litzka: Ganz global gesehen scheuen Pharmafirmen größere Risiken. Eine Technologie, ein Target muss erst validiert werden, klinische Resultate müssen beeindrucken. Dann beginnt häufig eine Welle, wie sie jetzt schön zu sehen ist beim Thema Obesität. Man kauft jetzt Projekte mit überschaubarem Risiko. Erst wenn dieses Sentiment kippt, wenn wieder sehr frühe Kandidaten gekauft werden, kommt der bekannte Kreislauf unserer Industrie wieder in Gang. Die Übernahme von Calypso zum Beispiel ist ein erstes Zeichen in diese Richtung, dass Pharma sich ausreichend risikobalanciert aufgestellt sieht und wieder früher einsteigt.

|transkript: Trotzdem ist es für viele Biotechs mit einer früheren Pipeline jetzt eine Phase, in der Deals länger dauern können?

Litzka: Alle VCs haben in den letzten Monaten sehr genau auf ihr Portfolio geschaut, wir haben das Geld zusammengehalten, um die Reichweite der Portfoliounternehmen nicht zu gefährden. Wir haben aber auch gute Reserven. Ja, wir müssen eine Durststrecke durchstehen, weil uns die Exit-Möglichkeit über die Börse fehlt. Pharma hat zudem, wie gesagt, mehr reifere börsennotierte Firmen gekauft als private oder aus dem VC-Portfolio – mit Ausnahmen wie Reviral bei uns und Emergence Therapeutics bei anderen. Da ist es für die Biotech-Firmen und für uns eben nicht so gut möglich, den Exit-Pfad selbst zu bestimmen, weil man derzeit nicht mit einem IPO in die Verhandlungen gehen kann.

|transkript: Aber ein Verkauf an Pharma ist für Sie schon eine Möglichkeit?

Litzka: Natürlich, aber erst einmal werden die Firmen jetzt für einige Milliarden von der Börse gekauft. Wenn es dort weniger spannende Geschichten gibt, dann kommen wieder die privaten Firmen in den Fokus, die man auch günstiger kaufen kann. Natürlich leben die VC-Fonds auch von einem Verkauf an Pharma, es muss, kann und soll nicht immer der IPO sein.

|transkript: Trotzdem gilt der IPO als Königsdisziplin der Unternehmensentwicklung. Braucht es einen IPO-Schub, damit eine Trendwende nachhaltig wird?

Litzka: Das offene IPO-Fenster ist wichtig für das gesamte Ökosystem. Aber das hängt von vielen Dingen ab. Wenn die Zinsen hoch sind, investieren generalistische Investoren weniger in Tech und somit Biotech-Aktien, sondern in andere lukrative Asset-Klassen. Wenn die Zentralbanken Hinweise darauf geben, dass die Zinsen eher wieder sinken, dann springt die Maschine an. Man sieht, was sich in den letzten Wochen an der US-Börse bewegt hat.

|transkript: Kommen diese Gelder, kommt diese Bewegung der „Maschine“ dann auch nach Europa, gibt es genügend spannende Sachen hierzulande?

Litzka: Das geht immer in Wellen. Wir haben gerade große US-Finanzierungen in Europa gesehen. Dann gab es eine kleine Pause, aber das ist auch nicht so schlimm, denn Finanzierungen in der Höhe wie vor Corona zu sehen, ist ja nicht schlecht. Man muss einmal diese Übertreibung aus der Zeit der Pandemie aus den Köpfen bekommen. Und ja: Man kann sehr viel Innovation in Europa finden. Ich würde sogar sagen, man muss sehr lange und intensiv darüber nachdenken, ob es in Europa etwas Bestimmtes nicht gibt.

|transkript: Auf der anderen Seite hat man das Gefühl, dass im Moment sehr viel in Richtung China geht, ein bisschen an Europa vorbei, teilweise auch von Europa aus eine Art Einkaufstour in China stattfindet. Warum gibt es gerade diesen Drang nach China?

Litzka: Ja, das sehe ich auch. Chinesische Firmen haben sich zu Beginn auf die Kopie konzentriert, aber schon auf eine bessere Kopie als das Original, ein me-too-better. Und wenn so etwas funktioniert, ist diese Kopie  möglicherweise ein Best-in-Class. Viele chinesische Firmen machen das immer noch, und zwar sehr gut, aber wir sehen auch immer mehr wirklich neue Wissenschaft aus China. Was sich jetzt geändert hat, ist, dass chinesische Firmen Deals machen wollen. Vor zwei Jahren gab es das noch weniger. Jetzt haben wir ein sehr aktives Business Development von chinesischen Firmen, die eine breite Palette von sehr guten Molekülen anbieten.

|transkript: Muss man da Angst haben, dass man abgehängt wird, dass die ganzen Deals fast nur noch mit China laufen, dass also die Finanzierung hier zurückgehen könnte?

Litzka: Angst ist übertrieben. Diese Interaktionen mit chinesischen Firmen sind nicht immer einfach, man braucht schon eine sehr gute Vertrauensbasis. Wir haben beispielsweise im Bereich Medtech eine ausgezeichnete Kooperation mit einer chinesischen Firma.

|transkript: Zurück nach Europa, nach Deutschland. Was stimmt Sie hier optimistisch?

Litzka: Wir haben hier in der Biotechnologie keine Unternehmenskrise gesehen. Es waren schwierige Zeiten, aber keine Pleitewelle, die Leute haben den Gürtel enger geschnallt, sich mehr auf das Machbare konzentriert. Vielleicht werden einige Unternehmen in den nächsten Monaten weiterhin Schwierigkeiten haben, vielleicht haben wir noch eine gewisse Zurückhaltung bei Gründungen und Seed-Finanzierungen. Aber Deutschland hat für diese frühen Unternehmen den HTGF, der einen tollen Job macht und den Start enorm erleichtert. Der HTGF braucht dann die Anschlussfinanzierung  und Wachstumsfinanzierung durch VCs wie uns und andere leistungsfähige Investoren. Aber ich denke auch, dass das in diesem Jahr wieder leichter wird. Auf der Seite der institutionellen Investitionen in VC-Fonds hat die KfW Capital das exzellente Instrument des Zukunftsfonds in den Händen. Ich glaube, die Talsohle ist durchschritten.

|transkript: Vielen Dank.

SIE MÖCHTEN KEINE INFORMATION VERPASSEN?

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter