
Chloroplasten: britisches Geld für Genom-Design aus Potsdam
Künstliche Chloroplasten-Genome sind ein herausforderndes Forschungsprojekt, doch als Beiwerk können viele Technologien als Wegbereiter der Synthetischen Biotechnologie entstehen. Die Strategie in Großbritannien hat das genau so im Blick. Das Projekt steht unter deutscher Leitung, doch noch fehlt der politische (auch förderpolitische) Rückenwind für den Einsatz von Genomdesign, um den Herausforderungen der Menschheit zu begegnen.
Mit einem Fördervolumen von 9,1 Mio. Pfund (über 11 Mio. Euro) startete ein internationales Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP, Potsdam) ein ambitioniertes Projekt: Ziel ist die Entwicklung synthetischer Chloroplasten-Genome, die langfristig Landwirtschaft und Bioökonomie revolutionieren könnten.
Die Biotech-Unternehmen Camena Bioscience und Constructive Bio (beide in der Innovationsregion Cambridge, UK, angesiedelt) bringen dabei zentrale Technologien ein. Camena gilt als Pionier in der enzymatischen DNA-Synthese, während Constructive Bio auf großskalige Genomassemblierung spezialisiert ist. Unterstützt wird das Projekt von der britischen Förderagentur ARIA (Advanced Research + Invention Agency). Auch Forscher der University of Essex und der University of California, Berkeley (USA) sind beteiligt.
Chloroplasten sind die „Energiezentren“ von Pflanzenzellen: Sie betreiben Photosynthese, wandeln Sonnenlicht in Energie um und spielen eine Schlüsselrolle bei der Anpassung von Pflanzen an Umweltveränderungen. Ihr Genom umfasst 120–170 Kilobasen, ist besonders reich an Adenin und Thymin und weist zahlreiche Wiederholungen auf – Eigenschaften, die eine synthetische Rekonstruktion bislang extrem erschwerten.
Mit der Kombination der Technologien von Camena und Constructive soll dieser Engpass überwunden werden. „Camena kann komplexe DNA-Sequenzen synthetisieren, die für andere Unternehmen kaum machbar sind“, sagt CEO Steve Harvey. „Zusammen mit der Präzision von Constructive bei der Genomassemblierung lässt sich nun ein ganz neues Feld der Pflanzenbiotechnologie erschließen.“
Die Anwendungsmöglichkeiten reichen von klimaresilienteren Nutzpflanzen über eine effizientere CO2-Bindung bis hin zur Nutzung von Pflanzen als nachhaltige Biofabriken für Kraftstoffe oder Arzneimittel. Constructive-Bio-Chefin Ola Wlodek spricht von einem „bahnbrechenden Sprung in der synthetischen Genomik“, der die Grundlagen einer künftigen Bioökonomie schaffen könne.
Für Projektleiter Daniel Dunkelmann vom MPI-MP ist die Vision klar: „Wenn wir lernen, Chloroplastengenome effizient zu designen und zu synthetisieren, können wir Photosynthese gezielt verbessern und neue biotechnologische Wege erschließen.“
Nachgefragt
Doch warum landet ein solches innovative Forschungsprojekt, das offensichtlich stark aus dem deutschen MPI-MP heraus angetrieben ist, auf der britischen Insel und erhält dort Fördergeld aus der Invention-Agency des Vereinigten Königreichs, die ähnlich der deutschen SPRIND-Agentur mit vielen Millionen ausgestattet ist für riskante, aber potentiell disruptive Forschungsprojekte? Gibt es für solche Ideen und Ansätze in Deutschland selbst nicht die Mittel und die Expertise? Das fragte transkript.de den, nach Angaben der Beteiligten, treibenden Kopf hinter dem Chloroplastenprojekt, Dr. Daniel Dunkelmann, MPI-MP, Potsdam, der ursprünglich von der ETH Zürich in die brandenburgische Hauptstadt wechselte:
Daniel Dunkelmann: Deutschland hat starke Initiativen in der Synthetischen Biologie, etwa in Marburg wird viel in Biotechnologie für Photosynthese-Forschung investiert. Bei „synthetic genomics“, der Synthese komplett neuer Genome, besteht jedoch Nachholbedarf. Das liegt auch an der geringeren Risikobereitschaft auf dem alten Kontinent, während England, die USA und China mutiger vorangehen. Doch Deutschland hat Talent, Expertise und Infrastruktur.
transkript.de: Wovor schrecken die deutschen Geldgeber zurück?
Dunkelmann: Wer wirklich Großes schaffen will, muss akzeptieren, dass das Risiko des Scheiterns ebenso groß ist wie die Dimension des möglichen Durchbruchs. Die Bereitschaft, immer wieder zu scheitern, ist dabei eine Kernvoraussetzung für Spitzenforschung in der Synthetischen Biologie. Für mein Team ist die Vision das Risiko wert. Um neue Systeme synthetisieren zu können, müssen neue Methoden entwickelt werden. Und es ist meine Überzeugung, dass diese Methoden sehr oft außerhalb der initial geplanten Anwendung am Schluss den größten Fortschritt bringen.
transkript.de: Wie schätzen Sie allgemein hierzulande die Bereitschaft ein, die Möglichkeiten der „Synthetischen Biologie“ stärker für die Lösung ganz verschiedener Probleme der Menschheit heranzuziehen, sie stärker zu erforschen, aber auch in die Anwendung zu bringen?
Dunkelmann: Die Faszination ist da und die Bereitschaft ist groß. Ich sehe das ja auch in meinem Team, eine internationale Truppe aus super talentierten, motivierten und intelligenten Menschen, die alle zusammen an einer Vision arbeiten. Aufregende Forschung zieht Spitzenleute an. Das ist sehr speziell, gerade weil ich ja noch nicht viel vorzuzuweisen habe und das große Vertrauen von allen Seiten spüre, dass wir das zusammen hinkriegen.
transkript.de: Fehlt Ihnen die Unterstützung in Deutschland, oder würden Sie diese internationale Kooperation und die Schwerpunktverlagerung nach Großbritannien auch nicht überbewerten wollen? Oder sehen Sie das als etwas ganz übliches an?
Dunkelmann: Auch wenn ich als Schweizer und vom Herzen Engländer eher aus insularen Staaten komme, sehe ich mich grundsätzlich als Europäer. Bis jetzt kamen Forschungsförderungsgelder für unser Projekt aus England (ARIA), der Schweiz (Branco Weiss Fellowship) sowie von der EU (MSCA Fellowship), aber ich wurde und werde tatkräftig von meinem Direktor Ralph Bock gefördert und fühle mich in der Max-Planck-Gesellschaft willkommen, auch wenn ich im hierarchischen Deutschland ab und zu in Wände laufe. Interessanterweise wurde ich in meinem PhD von einer deutschen Stiftung (Boehringer Ingelheim Fonds) finanziert. Die macht einen phantastischen Job, von Deutschland aus extrem risikoreiche Projekte zu unterstützen; mit großartigen Erfolgsquoten. Es geht also auf jeden Fall! Im Moment erlebe ich eine einzigartige, extrem privilegierte Situation, und jetzt müssen wir als Team erst mal zeigen, dass das Vertrauen in das Forschungsprojekt gerechtfertigt war.
Das gesamte Projekt steht auch für eine strategische Weichenstellung in Großbritannien und ist ein Beleg für eine nächste Stufe der kürzlich von der britischen Regierung als Modern Industrial Strategy ausgegebenen Richtung. Diese legt einen Fokus auf Bioengineering, bei dem DNA-Synthesefähigkeiten eine wichtige Grundlage darstellen. Nachdem das Land in den 1990er-Jahren mit dem Human Genome Project seine Rolle als Vorreiter im „DNA-Reading“ festigte, setzt die Regierung nun verstärkt auf „DNA-Writing“ und unterstreicht damit den Anspruch, die nächste Welle der Biotechnologie mitzugestalten.