
Interview: Franz-Werner Haas zur Antibiotika-Krise
Die Schweizer LimmaTech Biologics AG hatte im Frühjahr vermeldet, dass die ersten Teilnehmer einer Phase I-Studie mit LBT-SA7 geimpft wurden – einem multivalenten Impfstoffkandidaten zur Vorbeugung von Haut- und Weichteilinfektionen durch den bakteriellen Erreger Staphylococcus aureus. Die klinische Entwicklung von LBT-SA7 wird durch 6,5 Mio. US-Dollar Fördermittel von CARB-X unterstützt – einer industrie-getragenen Initiative gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR). Transkript.de fragte LimmaTech CEO Franz-Werner Haas nach seinem Blick auf die AMR-Krise.
Nach elf Jahren in leitenden Positionen bei der Tübinger CureVac NV, wechselte der damalige CEO des Impfstoffentwicklers 2023, Franz-Werner Haas, in die Schweiz, um sich neuen Wirkstoffen gegen mikrobielle Krankheitskeime zuzuwenden. Hier ist kein pandemischer Ausbruch mit akuter Notfalllage wie bei COVID-19 die Herausforderung, sondern die sogenannte stille Pandemie der immer häufiger gegen gängige Antibiotika multiresistenten Keime (AMR). Die Krise wird nicht mehr nur in Fachkreisen diskutiert. In immer mehr Initiativen soll auch mit politischer Unterstützung das erlahmte Interesse der Pharmaindustrie wiedererweckt werden, neue Antibiotika zu entwickeln oder mit der Wissenschaft und Start-ups zusammenzuarbeiten.
transkript.de: Herr Haas, hat sich in den vergangenen Jahren etwas an der Wahrnehmung der Antibiotika-Krise verändert oder herrscht weiterhin ein Mangel an Aufmerksamkeit und Unterstützung?
Franz-Werner Haas: Das Bewusstsein für die AMR-Krise ist deutlich gewachsen. Regierungen, Gesundheitsbehörden wie WHO, CDC, EMA und Initiativen wie Carb-X betonen zunehmend die Dringlichkeit. Besonders die Rolle von Impfstoffen wird mehr und mehr erkannt – sie schützen nicht nur vor Krankheiten, sondern verhindern auch die unnötige Anwendung von Antibiotika. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, langfristig Bildungsmaßnahmen, politisches Engagement und Finanzierung aufrechtzuerhalten. AMR gilt als „stille Pandemie“ – mit weltweit 1,27 Millionen direkten Todesfällen allein 2019 – doch sie entzieht sich oft der öffentlichen Aufmerksamkeit. Es braucht stärkere internationale Koordination und Ressourcenverteilung.
transkript.de: Es gibt zahlreiche Initiativen – auf EU-Ebene, von der WHO und anderen Akteuren. Ist das aus Ihrer Sicht positiv oder fehlt eine koordinierte Gesamtstrategie?
Haas: Die zunehmende Zahl an AMR-Initiativen ist ein gutes Zeichen. Doch globale Abstimmung und Harmonisierung sind entscheidend – Resistenzen machen nicht an Ländergrenzen halt. Ein zentraler AMR-Fonds mit gemeinsamen Investitionen und regulativen Rahmenbedingungen wäre effektiver. Auch die Impfstoffforschung – bisher unterfinanziert im AMR-Bereich – würde davon profitieren. Unsere Arbeit bei LimmaTech zielt genau auf solche Präventionsstrategien ab.
transkript.de: Auch wenn es Unterschiede zwischen AMR und akuten Pandemien gibt – sehen Sie ähnliche Herausforderungen für die Medikamentenentwickler?
Haas: Ja, absolut. In beiden Feldern gibt es vergleichbare Hürden: mangelnde Investitionen, weil kurzfristige Gewinne ausbleiben; unvorhersehbare Bedrohungen, die flexible Plattformtechnologien erfordern, komplexe regulatorische Prozesse und geringe Markterträge durch kurze Therapiezyklen oder zurückhaltende Anwendung. Trotz dieser Herausforderungen sehen wir zunehmendes Interesse und schnellere regulatorische Wege – ein positives Signal.
transkript.de: Der Börsengang von BioVersys auf dem Schweizer SIX-Börsenplatz – ist das ein Wendepunkt für AMR-Investments?
Haas: Ja, der Börsengang von BioVersys ist ein starkes Signal. Er zeigt, dass AMR-Themen auch an den Kapitalmärkten an Bedeutung gewinnen. Das könnte weitere AMR-Firmen motivieren, diesen Schritt zu gehen, und mehr institutionelle Investoren anziehen. Bisher war der Zugang zu Kapital für AMR-Start-ups sehr begrenzt.
transkript.de: Wer macht neben LimmaTech gerade bemerkenswerte Fortschritte im AMR-Bereich? Welche Themen sehen Sie als besonders vielversprechend?
Haas: Neben unseren Impfstoffkandidaten gegen S. aureus, N. gonorrhoeae, Chlamydia und Shigella (teilweise in Zusammenarbeit mit Valneva) sehe ich Fortschritte bei beta-Lactam/beta-Lactamase-Inhibitoren gegen gramnegative Erreger, bei Phagentherapien und mikrobiombasierten Ansätzen sowie bei neuen Impfstoffen – etwa gegen Pneumokokken oder Gruppe-B-Streptokokken. Langfristig können Impfstoffe helfen, den Antibiotikaverbrauch substanziell zu senken.
transkript.de: N. gonorrhoeae ist besonders resistent, Therapien wirken kaum noch. Ist das eine akute Bedrohung oder fehlt weiterhin gezielte Aufmerksamkeit?
Haas: Mit weltweit 82 Millionen Neuinfektionen jährlich und zunehmender Resistenz ist N. gonorrhoeae eine reale Bedrohung. Nur wenige Wirkstoffe wie Ceftriaxon oder Zoliflodacin sind derzeit wirksam. WHO und CDC stufen den Erreger als besonders gefährlich ein. Dennoch ist die Impfstoffforschung stark unterfinanziert. Unser multivalenter Impfstoffkandidat gehört zu den fortgeschrittensten Ansätzen, um dieser Herausforderung nachhaltig zu begegnen – ohne das Risiko resistenzbedingter Therapieausfälle.
transkript.de: Wie gut ist Europa aufgestellt im Kampf gegen AMR – oder sind andere Regionen weiter?
Haas: Europa ist durchaus aktiv, etwa mit dem HERA-Programm im Rahmen der One-Health-Strategie. Es gibt umfassende Politik zur Reduktion von Antibiotikaverbrauch und Förderung von Forschung. Doch die Umsetzung variiert stark zwischen den Ländern. Einheitliche Standards, definierte Zielmarken und bessere länderübergreifende Koordination könnten Europas Position weiter stärken.
transkript.de: Wie entwickelt sich die öffentliche Förderung in den USA – etwa für CDC oder die Pandemie-Forschung?
Haas: Die Unterstützung in den USA schwankt – mit Ausschlägen nach oben bei Krisen wie COVID-19. Es braucht aber kontinuierliche Finanzierung, um vorbereitet zu sein. Der PASTEUR Act könnte wichtige finanzielle Anreize für AMR-Innovationen schaffen. BARDA ist derzeit der stabilste Geldgeber, allerdings ohne klaren Impfstofffokus. Die USA bleiben führend bei AMR-Finanzierung, aber politische Unsicherheiten gefährden langfristige Investitionen.