Pangenom: Ein Bild aller Menschen

Forscher erweitern das Referenzgenom, um Menschen aus aller Welt individuellere medizinische Behandlungsmethoden zu ermöglichen.

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Das individuelle molekulare Profil kann dazu beitragen, dass Krebs, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ihr Verlauf sowie die Wirksamkeit eines Medikaments und die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Wirkungen vorhergesagt werden können. Um dies erfolgreich bei so vielen Menschen wie möglich zu erreichen, wurde das Human Pangenome Reference Consortium ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projekts werden gängige Genomanalysen auf ein Pangenom umgestellt. Diese Sammlung genetischer Sequenzen aus einer Vielzahl von Menschen wird vom National Human Genome Research Institute in Washington D.C., USA, über einen Zeitraum von fünf Jahren mit 40 Mio. US-Dollar finanziert. Nun wurden mehrere Studien im Fachjournal Nature veröffentlicht, die die ersten Ergebnisse präsentieren. Die neue „Pangenom“-Referenz umfasst bisher Genomsequenzen von 47 Personen, also 94 Genomsequenzen (pro Person ein gepaarter Chromosomensatz). Bis Mitte 2024 wollen die Forscher 700 verschiedene Genomsequenzen zusammentragen.

Im Jahr 1990 startete das erste internationale Humangenom-Projekt, dessen Ziel es war, das komplette Genom des Menschen zu entschlüsseln und zu kartografieren. Die 2003 publizierte Referenzsequenz umfasste Gensequenzen von etwa 20 Personen, anhand derer rund 92% des menschlichen Erbguts entschlüsselt wurden. Es fehlten etwa 8%, die mit der damaligen Sequenzierungstechnologie schwer zu lesen waren. Obwohl dies zu der Zeit ein großartiger Schritt für die Wissenschaft war, sind die Lücken nicht zu übersehen. Die Genome von zwei Menschen sind im Durchschnitt zu mehr als 99% identisch. Die kleinen Unterschiede in dem einen Prozent tragen zur Einzigartigkeit eines jeden Menschen bei, aber auch zu den genetischen Defekten, die zu komplizierten und teilweise unheilbaren Krankheiten führen können.

Der Drang, dieses „Entwurfsgenom“ weiter zu ergänzen, war also mit dem Abschluss des auf 3 Mrd. US-Dollar geschätzten Projektes im April 2003 nicht gestillt. Im vergangenen Jahr veröffentlichten Forscher das bisher vollständigste menschliche Genom, das 100% der gesamten menschlichen Sequenz umfasst. Dieses Referenzgenom, bekannt als T2T-CHM13, spiegelt allerdings noch immer nicht die genetische Vielfalt unserer Spezies wider. Es enthält zum Beispiel nicht die vielen Versionen desselben Gens oder Allele, die in einigen Populationen vorhanden sind, in anderen aber nicht. Es fehlen auch die sogenannten strukturellen Varianten – große DNA-Abschnitte, die erklären könnten, warum jeder von uns anders ist. „Diese Form einer Referenzsequenz ist ungeeignet, um die Vielfalt der menschlichen Spezies angemessen zu beschreiben, und stellt so keine gute Grundlage für die personalisierte Medizin der Zukunft dar“, sagte Prof. Dr. Tobias Marschall, Direktor des Instituts für Medizinische Biometrie und Bioinformatik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), der zusammen mit vier Forschern aus den USA die Studie leitete. Alle bisherigen Referenzgenome stammen von Personen europäischer Abstammung. Dies schränkt die medizinischen Instrumente ein, die das Referenzgenom auch für Patienten nicht europäischer Abstammung verwenden würden. Biologische Marker, die bei der Vorhersage bestimmter Krebsarten helfen, könnten beispielsweise bei Menschen aus einigen Teilen der Welt genauer sein, gleichzeitig jedoch das Risiko anderer Patienten stark unterschätzen.

„Grundlagenforscher und Kliniker, die Genomik nutzen, brauchen Zugang zu einer Referenzsequenz, die die bemerkenswerte Vielfalt der menschlichen Bevölkerung widerspiegelt. Dies wird dazu beitragen, die Referenz für alle Menschen nutzbar zu machen und damit die Gefahr der Verbreitung von gesundheitlichen Ungleichheiten zu verringern,“ so Eric Green, M.D., Ph.D., Direktor des National Human Genome Research Institutes. Die neue Pangenom-Referenz umfasst Genomsequenzen von knapp 50 Menschen und deren Eltern, wobei die gesamte Gruppe alle Kontinente außer der Antarktis repräsentiert.

Um die tatsächliche Vielfalt der Menschen auf der Erde zu repräsentieren, werden die angestrebten 700 verschiedenen Genomsequenzen nicht ausreichen. Deshalb kooperiert die integrierte Ethikgruppe des Konsortiums mit internationalen und indigenen Gemeinschaften, um auch ihre Genomsequenzen einzubeziehen.

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