Weniger Tierversuche, aber warum?
Seit einigen Jahren werden in Deutschland immer weniger Versuchstiere eingesetzt. Der Trend setzte sich laut aktueller Versuchstierstatistik auch 2023 fort.
Gute Nachrichten also? Nicht ganz. Zwar wurden 2023 mit 1.456.562 Tieren so wenige für Tierversuche eingesetzt wie seit 20 Jahren nicht mehr – rund 16% weniger als 2022. Womit der Rückgang zusammenhängt, ist allerdings nicht klar. Das geht aus einer aktuellen Statistik des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hervor. Das Institut ermittelt die Zahlen für das Vorjahr und veröffentlicht sie stets zum Jahresende. Grundlage für die Berichtspflicht ist die EU-Versuchstierrichtlinie 2010/63/EU. Die Initiative „Tierversuche verstehen“ hat die aktuellen Daten analysiert und mögliche Gründe für den Rückgang beleuchtet.
Erneut weniger Versuchstiere in Deutschland
Neben der Anzahl der Versuchstiere sank auch die Zahl der Tiere, die für Organentnahmen getötet wurden, um 6% auf etwa 671.958. Zusammengenommen wurden im Jahr 2023 2.128.520 Versuchstiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt – 13% weniger als 2022 (2.437.794 Tiere). Daneben sank auch die Zahl der Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke gezüchtet, aber ohne Einsatz getötet wurden, um 22% auf 1.373.173. Gründe hierfür könnten eine bessere Versuchsplanung und Fortschritte im Zuchtmanagement sein.
Bei den meisten Versuchstieren handelt es sich um Nagetiere (77% Mäuse und 7% Ratten) sowie Fische (etwa 9%). Der Anteil von Vögeln, Kaninchen, Nutztieren und anderen liegt unter 7%. Die Zahl von Primaten in Tierversuchen sank 2023 von 2.267 auf 1.733 um 24% deutlich. Vor allem die Zahl der eingesetzten Mäuse und Fische ging mit 13% deutlich zurück, womöglich durch eine Verringerung bei den Erhaltungszuchten von genetisch veränderten Tieren.
So wenige belastende Versuche wie noch nie
Ein Großteil der Tiere (59%) wurde in der Grundlagenforschung eingesetzt, 14% in der translationalen Forschung, 17% in Versuchen zu regulatorischen Zwecken – wie Qualitätskontrolle oder Sicherheitsprüfungen –, lediglich 6% zur Erhaltungszucht und 4% für andere Zwecke.
„Der Rückgang an Tierversuchen betrifft fast alle Bereiche, so die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung “, erklärte BfR-Präsident Andreas Hensel. „Bemerkenswert ist insbesondere ein historischer Tiefststand bei schwer belastenden Versuchen.“ Der Anteil der Tiere in als schwer belastend eingestuften Versuchen ging auf 3,5% zurück und damit auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen.
Tierversuche im europäischen Vergleich
Bis 2022 liegen auch Zahlen aus der EU vor. Sie haben sich, abgesehen von einem pandemiebedingten Einbruch 2020, in den vergangenen Jahren kaum verändert. Im EU-Vergleich weist Deutschland wie auch Österreich eine leicht überdurchschnittliche Zahl von Tierversuchen relativ zur Einwohnerzahl auf, liegt in dieser Statistik allerdings weit hinter anderen forschungsstarken Ländern wie Frankreich und Dänemark.
Während die Versuchstierzahl 2023 in Deutschland sank, wurden in Österreich 5,6% mehr Tiere (223.266) eingesetzt als im Vorjahr. In der Schweiz waren es 2023 im Vergleich zum Vorjahr 1,6% mehr (595.305 Tiere).
Die Gründe bleiben unklar
Die Bemühungen zur Verringerung von Tierversuchen in Deutschland – durch 3R-Methoden, verbessertes Zuchtmanagement und Kryokonservierung – scheinen sich laut des BfR-Berichts also auszuzahlen. Ob der so deutliche Rückgang bei gleichzeitig steigender Forschungsförderung allein auf den verstärkten Ersatz von Tierversuchen zurückgeht, wird in der Analyse der Initiative „Tierversuche verstehen“ allerdings angezweifelt. Vielmehr würden sich darin auch die zunehmend schwierigen Rahmenbedingungen für die Forschung in Deutschland widerspiegeln.
„Wir bekommen die Nachteile für die deutsche Forschungslandschaft im internationalen Wettbewerb deutlich zu spüren”, warnte Stefan Treue, Sprecher der Initiative. Die Gründe könnten also auch in bürokratischen Antragsverfahren oder rechtlichen Unsicherheiten liegen. So befürchtet die Initiative einerseits, dass es unter den Rahmenbedingungen schwieriger wird, wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Andererseits könnten diese Umstände dazu führen, dass Tierversuche ins Ausland ausgelagert werden, was die Tierversuchsstatistiken in Deutschland verfälschen würde.