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IWBio diskutiert Chancen von Proteinalternativen

Wie die wirtschaftlichen Potentiale der Präzisionsfermentation in Deutschland gehoben werden können, war Thema des Jahrestreffens des Industrieverbunds IWBio.

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Weltweit investieren Regierungen Milliarden US-Dollar, um sich möglichst hohe Anteile im Wachstumsmarkt für die pflanzenbasierte und biotechnologische Proteinproduktion zu sichern – allen voran die USA, wo von 2010 bis 2021 sage und schreibe 2,4 Billionen US-Dollar in den Klimaschutz, davon 14,2 Mrd. US-Dollar in das Feld der Präzisionsfermentation und zellbasierten Proteinproduktion flossen. „Eine Unwucht, wenn man bedenkt, wie viel CO2 die biotechnologischen Methoden helfen könnten, an tierbasierten CO2-Emissionen einzusparen,“ stellte Dr. Martin Langer, Executive Vice President und Managing Director BioScience Operations der BRAIN Biotech AG, auf der Jahrestagung des Industrieverbundes Weiße Biotechnologie (IWBIO) in Berlin fest. Dass ein Vielfaches der Investitionen in entsprechende Technologien in den USA getätigt würden, sei nicht mehr aktuell, so Ivo Rzegotta, leitender Public Affairs Manager Deutschland des in den USA aus der Taufe gehobenen Good Food Institutes, das den Sektor voranbringen will. Investoren drängen heute ähnlich stark nach Europa wie nach Asien und in die USA, wegen der Rahmenbedingungen allerdings weniger auf den größten Markt des Blockes für Proteinalternativen, so Rzegotta. In Deutschland gaben die Verbraucher im vergangenen Jahr 1,9 Mrd. Euro für die neuen Produkte aus. Mehr als 60% der Konsumenten seien interessiert, tierfreie hergestellte und zellbasierte Proteinprodukte zumindest einmal zu kosten, wie in den Niederlanden, der Schweiz und demnächst auch Großbritannien bereits möglich. „Es ist High-noon für Food Biotech“, stellte die Lebensmittelwissenschaftlerin Prof. Dr. Hannelore Daniel in ihrem Plenarvortrag fest. „Jetzt ist der Moment, dass es passiert.“ Auf dem Treffen diskutierten mehr als 50 Branchenkenner die Chancen deutscher Biotech-Spezialisten im globalen Wettbewerb des aufstrebenden Sektors.

In den Räumen der Formo Bio GmbH wurde in Vorträgen und Paneldiskussionen schnell klar, dass deutsche Biotech-Entwickler zwar derzeit hinreichend Produktionskapazitäten bei CDMOs wie Evonik, der CordenBiochem GmbH oder der Wacker AG vorfinden, aber durch träge Zulassungsverfahren, hinderliche Rahmenbedingungen und ein konservatives, Biotech-skeptisches Vermarktungsmindset der Großhändler ins wagemutigere Ausland getrieben werden.

Formo Bio-Gründer und CEO, Raffael Wohlgensinger erklärte, dass seine 2019 gegründete Firma zwar Wege suche, in Deutschland zu entwickeln und zu produzieren, die Marktzulassung des ersten Käseprodukts auf Basis bakteriell hergestellten Caseins aber in Singapur angestrebt werde, wo die Zulassungsbürokratie – ähnlich wie in den USA – signifikant schneller arbeite als in der EU. Er erklärte, dass Regierungen außerhalb Europas wesentlich investitionsgeneigter seien, wenn es um die Bereitstellung des für die Aufskalierung der Produktion dringend benötigten Beteiligungskapitals gehe.

Kaum verständlich – hieß es im digitalen Grußwort von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) doch: „Ich bin mir sicher, dass diese Produkte [Proteine aus Präzisionsfermentation und zellbasiertes Protein] unsere Ernährung revolutionieren werden. Die Biotechnologie ist der Schlüssel dazu, ob bei der Herstellung tierfreien Rindfleisches oder von [rekombinantem] Erbsenprotein. Da wartet ein Milliardenmarkt, der erschlossen werden will.“

Dass Firmen mit der Produktion loslegen wollen, daran ließen die auf die effiziente und kostengünstige Produktion von Einzelzellprotein und Zellextrakten spezialisierte Hamburger Microharvest GmbH und auch die auf Pilmyzelfermentation fokussierte Mushlabs GmbH keinen Zweifel. Auf die Frage, weshalb man die wesentlich schnellere Zulassungsprozedur der USA oder Singapurs nicht einfach kopiere, gab es weder von BMBF- noch von EU-Vertretern auf dem Jahrestreffen in Berlin eine unmittelbar verständliche und direkte Antwort.

Prof. Dr. Hannelore Daniel, vormals Mitglied des Bioökonomierates, sagte, „wirklich neu ist, dass die Verbraucher realisieren, dass sie mit Messer und Gabel am Weltgeschehen partizipieren können. Bisher war nur der Preis entscheidend. Nun geht es plötzlich um Tierwohl, Gesundheit, Regionalität, die für die Produktion benötigte Fläche und den Klimaschutz.“ Allerdings fand sie auch kritische Worte für den Proteinhype und belegte mit Zahlen zum Proteinbedarf, dass der Proteinhunger der Welt zwar steige, aber es nicht zu wenig Protein, sondern nur ein Logistik- und Verteilungsproblem gebe – und Mikronährstoffe, Kalorien und Fette nicht aus den Augen verloren werden dürften. Selbst bei vollem Ersatz des Tierproteins durch Proteinalternativen läge das Einparpotential an CO2-Emissionen nur bei 20-30%. Sie empfahl, sich klar zum Potential der biotechnischen Produktion zu bekennen, statt ängstlich den Fakt zu verschweigen, dass es sich um Lebensmittel aus biotechnisch optimierten Mikroorganismen handele. Auch stellte sie klar, dass in Deutschland zwar viel von Ernährungswende geredet werde, dies aber bedeute, dass man importieren und sich fragen müsse woher. Denn die neue gesunde Ernährung erfordere doppelt so viel Gemüse, dreimal so viele Hülsenfrüchte und viermal so viele Nüsse als hierzulande produziert würden. Solange die Politik sich international nicht dazu durchringen könne, die Umweltkosten der konventionellen Billigproduktion von Lebensmitteln mit einzupreisen, hätte etwa zellbasiertes Fleisch wirtschaftlich kaum eine Chance am Markt, da es selbst bei Aufskalierung ein Vielfaches kosten würde.

Hochgelobt wurde der Vorschlag des BMBF, die Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium zu suchen, um angemessene Regeln zu etablieren, die den Technologietransfer und die Kommerzialisierung von F&E fördern. Auch das Problem, synthetische Biotech-Produkte angesichts jahrelanger emotionsgeladener Marketingkampagnen positiv zu besetzen, wurde diskutiert. Während konventionelle Produkte mit werbespsychologischen Tricks so lange mit Naturbildern vermarktet wurden, bis der Verbraucher von deren Natürlichkeit überzeugt war, hätten die neuartigen Lebensmittel es schwer, sich in diesem gefühlten Produktumfeld zu platzieren. BIO dürfe nicht länger gegen Biotech ausgespielt werden, hieß es auf der Tagung.

EU-Repräsentant Adrian Leip sagte, dass die Kommission große Furcht vor einem Firmenexodus aus Europa habe und darüber nachdenke, wie die Zulassung von Novel Food beschleunigt und Widerstände von mächtigen Lobbygruppen wie den Bauernverbänden beschwichtigt werden könnten.

Zum Abschluss der Tagung beschwor Martin Langer, die Chancen der Biotechnologie und die Aufgeschlossenheit der Deutschen gegenüber nachhaltigen Proteinalternativen zu nutzen, um an besseren Rahmenbedingungen für die Biotech-Unternehmen zu arbeiten. Die Bereitschaft der Ministerien, sich über geeignete Rahmenbedingungen abzustimmen, sei ein guter Ansatzpunkt.

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