Pharmaverbände kritisieren geplante Substitution von Biosimilars
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht einer der einschlägigen Pharma- und Biotechnologieverbände zur Kritik an aktuellen Gesetzgebungsvorhaben oder daraus folgenden neuen Regelungen ansetzt. Jedesmal wird dabei der "Innovationsstandort" Deutschland beschworen und die meisten Änderungen werden als schädlich bezeichnet. Nun gilt die nächste Alarmstufe rot den Biosimilars und der angedachten "automatischen Substitution".
Einzelne Pharmafirmen (Roche Deutschland, Abbvie) bemühen derzeit das Bundesverfassungsgericht wegen des neuen Finanzstabilisierungsgesetzes aus dem Bundesgesundheitsministerium, mit dem Karl Lauterbach die in seinen Augen ausufernde Kostenentwicklung des Gesundheitssystems eindämmen möchte. Vfa-Präsident Han Steutel hatte kürzlich das aktuelle Geschehen so kommentiert: „Es ist nicht akzeptabel, dass unsere Branche im letzten Jahr zwangsweise Stabilisierungshilfen für die Krankenkassen leisten musste, obwohl die zu Grunde liegende Finanzschätzung noch nicht einmal zutreffend ist. Gesetzgeberische Schnellschüsse, die im Vorbeigehen einen etablierten Gesetzesrahmen wie den des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) ruinieren, gehören ihrerseits überprüft. Und zwar in Karlsruhe! Es ist richtig, dass mit Roche ein erstes forschendes Pharmaunternehmen [mittlerweile hat auch Abbvie eine Verfassungsbeschwerde nachgereicht, die Red.] Verfassungsbeschwerde gegen das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aus dem letzten Jahr eingelegt hat. Schließlich ist gerade das Erstattungssystem für Innovationen systemwidrig durcheinandergewirbelt worden.“
Vor dem Hintergrund der wachsenden Arzneimittelkosten pro Kopf (um ein Plus von ca. 5% im vergangenen Jahr) ist auch der zunehmende Anteil an (teureren) Biopharmazeutika am Arzneimittelmarkt zwiespältig zu sehen. Diese haben zwar 2022 erstmals mehr als die Hälfte der neuzugelassenen Medikamente in Deutschland ausgemacht, der Anteil am Gesamtarzneimittelmarkt steigt damit nun auch auf rund 33%, doch die innovativen und besonders teuren Medikamente werden ausgerechnet in den letzten Lebensjahren oder gar nur -monaten am intensivsten eingesetzt. Ein prognostizierter allgemeiner Kostenanstieg um 40% für Medikamente bis 2060 (im schlechteren Szenario jedoch um bis zu 150%, siehe Prof. C. Haigst, Otto Beisheim School WHU: Hofbauer‑Milan, V./Fetzer, S./Hagist, C. (2023): How to Predict Drug Expenditure: A Markov Model Approach with Risk Classes, in: PharmacoEconomics (2023). https://doi.org/10.1007/s40273-023-01240-3) kann damit das derzeitige Gesundheitssystem keinesfalls aushalten.
Hier kommt das nächste Thema fast zwangsläufig auf den Tisch: Biosimilars, die Nachahmerprodukte der Biopharmazeutika als Beitrag zur Kostendämpfung. Doch hier droht laut den Pharmaverbänden BAH, BPI, der AG Pro Biosimilars und vfa neues Ungemach in Form der "automatischen Substitution". Die Politik dürfe nicht den gleichen Fehler wie bei den Generika machen und durch ungehemmte Kostendämpfung im GKV-System die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller gefährden. Der funktionierende Biopharmazeutika-Standort Deutschland und Europa müsse vielmehr gesichert werden, heißt es in der aktuellen Verlautbarung. Es gäbe auch mit Blick auf eine stabile GKV-Finanzierung keinen Grund zum automatischen Austausch: Der Biosimilar-Markt funktioniere, der Wettbewerb sei im vollen Gange. Nicht nur erreichen die meisten Nachahmerprodukte Verordnungsquoten von 70 bis über 90 Prozent. Mit 2021 gesetzlich verankerten Hinweisen zur wirtschaftlichen Verordnung von Biopharmazeutika für Ärzte sei bereits hinreichend dafür gesorgt, dass Biopharmazeutika wirtschaftlich verordnet und sicher angewendet werden. (*Update des Beitrages siehe unten)
Diese Form der Substitution würde automatisch das günstigste Biosimilarprodukt verordnungspflichtig machen und keine weitere Arztkonsultation oder dergleichen vorsehen. Dagegen haben die Verbände ihre Einwände: Eine doppelte Steuerung durch eine automatische Substitution in der Apotheke, infolgedessen die Krankenkassen mit einzelnen Herstellern exklusive Rabattverträge abschließen und so noch höhere Preisnachlässe erwirken können sollen, sei überflüssig und berge die Gefahr eines ruinösen Wettbewerbs, der bereits bei Generika zur Abwanderung der Produktion und Lieferengpässen geführt habe. Die Verbände fordern daher den Gesetzgeber dazu auf, im Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) keine weiteren Schritten in Richtung einer vollumfänglichen automatischen Substitution in der Apotheke vorzubereiten.
* Update am 16.6.: Doch diese weiteren Schritte sind nun durch eine Entscheidung des damit durch das BMG beauftragten Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) eingeleitet worden. Dort wurde am Donnerstag die automatische Substitution beschlossen. Dieser Beschluss muss nun noch in die entsprechende Arzneimittelrichtlinie eingefügt und im Bundesanzeiger veröffentlich werden, dann wäre dies der neue Standard. Die von den einschlägigen Verbänden ebenfalls als Gegenargument aufgeführte "Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit" ist in diesem Beschluss abgemildert, der Arzt "könne einen Austausch des verordneten Biologikums aus medizinisch-therapeutischen Gründen [ausschließen], so entfällt die Pflicht der Apotheke für einen Austausch." Der GB-A schränkt den Automatismus auch weiter ein: "Zudem kann die Apotheke unter Würdigung patientenindividueller Aspekte von einer Ersetzung absehen. Das wäre beispielsweise bei entsprechender Kenntnis der Apotheke von in der Vergangenheit aufgetretenen Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten oder Allergien der oder des Versicherten denkbar."
In der gesetzlichen Krankenversicherung wurden 2022 etwa 47 Mrd. Euro für Arzneimittel ausgegeben. Deren Anteil an den Gesamtkosten der Gesundheitsausgaben beträgt ca. 17%, etwa die Hälfte des Kostenanteils, der durch die stationäre Behandlung jährlich anfällt.
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