Finanzierung deutscher Biotechs stabil, aber …
Die Trendumfrage des Branchenverbandes BIO Deutschland unter Biotech-Geschäftsführern zeigt mehr Schatten als Licht. Dennoch hofft man, die Talsohle durchschritten zu haben und sieht erste Anzeichen einer Trendwende.
Trotz der weltweit angespannten Finanzierungssituation konnte die deutsche Biotech-Branche im vergangenen Jahr mit rund 1,08 Mrd. Euro etwas mehr Kapital einwerben als im Vorjahr (920 Mio. Euro). Davon flossen 533 Mio. Euro in Form von Risikokapital an private Unternehmen und 547 Mio. Euro in Form von Kapitalerhöhungen an börsennotierte Unternehmen, wie aus der heute veröffentlichten Datenerhebung des Biotechnologie-Branchenverbandes BIO Deutschland e.V. hervorgeht. Die jährliche Trendumfrage des Verbandes zeigt zudem, dass die Unternehmer ihre Geschäftslage 2023 zwar deutlich schlechter einschätzen als 2022, aber dennoch positiver in die Zukunft blicken. Der Negativtrend bei der Personalplanung und den Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) dürfte sich jedoch auch im laufenden Jahr fortsetzen.
Die Hoffnung auf eine Trendwende, die der Branchenverband auch als Überschrift zu den Umfrageergebnissen gewählt hat, klingt ein wenig wie das Pfeifen im Walde oder in besonders dunklen Kellern. Um die eigene Angst vor noch größeren Rückschlägen zu überspielen, mag dies psychologisch ratsam sein, für eine realistische Einschätzung der Lage sollten die Rückmeldungen der befragten Unternehmenslenker jedoch eher als Alarmsirenen verstanden werden: Rund 29% der an der Umfrage-Teilnehmer schätzen ihre aktuelle Geschäftslage als schlecht ein. 2022 waren es nur 13%. Demgegenüber gehen rund 35% der an der Umfrage Teilnehmenden davon aus, dass ihre Geschäftslage im Jahr 2024 besser sein wird als im Jahr 2023. Bei der letzten Befragung hatten dies nur 26% der Teilnehmer für das Jahr 2023 angegeben. Ob der Anstieg dieser Geschäftslageeinschätzungen der Hoffnung entspringt, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, oder mit einer tatsächlich steigenden Nachfrage korreliert, lässt sich aus den Zahlen nicht ableiten. Zu bedenken ist jedoch, dass die Rücklaufquote der Umfrage insgesamt nur 14% betrug und möglicherweise ein großer Teil der Branchenakteure so stark ausgelastet ist, dass keine Zeit für die Teilnahme an der Umfrage bleibt. Mehr als verdoppelt hat sich auch der Anteil der Unternehmen, die das aktuelle politische Klima für Biotech-Unternehmen als schlecht einschätzen: von 15 auf 35%. Für die Zukunft erwarten die Unternehmen kaum Veränderungen auf dieser politischen Ebene. Bei den antwortenden Unternehmen ist der Anteil derer, die Personal abbauen werden, deutlich gestiegen – er hat sich gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht.
Ein anderer Teil der Branche, der sich an der Umfrage beteiligt hat, ist positiver gestimmt: Die Zahl derer, die Personal aufbauen wollen, ist mit rund 45% im Vergleich zur Vorjahresumfrage stabil geblieben. Ein Drittel der antwortenden Unternehmen, 33%, nimmt die Zukunft konkret an und will 2024 mehr in F&E investieren (2023: 39%), aber mit 18% wollen auch mehr Unternehmen als im Vorjahr ihre Investitionen zurückfahren (2023: 11%). Anfang 2023 klang die damalige Firmenumfrage noch pessimistischer. Die Verbandsvertreter beschönigen die schwierige Lage der Branche nicht. Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender von BIO Deutschland, der im vergangenen Jahr mit seinen eigenen Unternehmen in große Schwierigkeiten geraten war, stellt fest: „Das Jahr 2023 hat unsere Unternehmen vor besondere Herausforderungen gestellt. Der Kapitalmarkt war schwierig, die Energiekosten sind hoch, qualifiziertes Personal ist schwer zu finden. Die Ergebnisse unserer Trendumfrage spiegeln diese Situation wider. Bemerkenswert ist, dass viele Unternehmer davon ausgehen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtern wird, sondern sich sogar eine Trendwende abzeichnet. Dennoch bleiben sie bei Investitionen zurückhaltend.
Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland, ergänzt. „Die Trendumfrage zeigt, dass sich die Einschätzung des politischen Klimas für unsere Branche im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschlechtert hat. Das ist verständlich, denn die Biotechnologie ist immer noch nicht zur Chefsache unserer Regierung geworden, obwohl beispielsweise auch der Zukunftsrat des Bundeskanzlers die Bedeutung der Technologie erkannt hat. Hier muss dringend etwas geschehen. Biotech-Unternehmen sind Kraftwerke der Wertschöpfungskette, der Therapieentwicklung und der nachhaltigen Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft.“
Gut ein Viertel der von BIO Deutschland erfassten privatwirtschaftlichen Finanzierungen entfällt allein auf das Münchner Unternehmen ITM isotope technologies, das mit der Rekordsumme von rund 250 Mio. Euro Mitte letzten Jahres ein international beachtetes Ausrufezeichen für die deutsche Radiopharmazie gesetzt hat. Aber auch in früheren Jahren waren die sehr hohen Summen häufig auf sehr wenige Einzelunternehmen konzentriert. Der weitaus größte Teil der Biotechnologiebranche ist nicht auf externe Finanzierung angewiesen, sondern auf die erfolgreiche Vermarktung ihrer Produktpalette auf globalen Märkten. Da die Umsätze der privaten Unternehmen jedoch nicht immer veröffentlicht werden, ist diese eigentlich interessante und aussagekräftigste Zahl zur „Gesundheit der Branche“ der statistischen Erhebung nicht so wirklich zugänglich.
Ein gewisser Silberstreif am Horizont leuchtet den Branchen- und Konferenzteilnehmern der JPMorgan-Konferenz in Kalifornien entgegen und von dort vielleicht auch den Heimweg nach Europa aus. Dort, so ist von vielen Seiten zu hören und zu lesen, zeichne sich eine deutlichere Aufhellung der Stimmung mit einer Belebung der Kooperations- aber auch der Übernahmeaktivitäten bereits zu Beginn des Jahres ab, so dass die auch in den USA im vergangenen Jahr sehr zurückhaltende Begeisterung der Investoren zurückkehren und eine neue Welle entstehen könnte. Ob die deutsche Biotechnologie davon in besonderem Maße profitieren kann, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.