Merck KGaA

Merck steht weiter auf Blockbuster Erbitux

Die Geschäftszahlen von Merck enthalten einige Minuszeichen, geben Anlass zu Zurückhaltung und professioneller Zuversicht, bieten aber auch Überraschendes: So ist das Krebsmedikament Erbitux, dessen Patent schon vor Jahren ausgelaufen ist, nach wie vor ein stabiles Milliardengeschäft, das sogar noch wächst.

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Die nüchternen Jahreszahlen der Darmstädter Merck KGaA, die in drei Unternehmensbereichen tätig ist, zeigen einige Minuszeichen: Die Gesamterlöse sinken um 1,6 Prozent auf 21,0 Mrd. Euro, das EBITDA wird voraussichtlich um 9,0 Prozent auf 5,9 Mrd. Euro zurückgehen. Das Management bezeichnet das vergangene Jahr als „Übergangsjahr“, da 2023 von „herausfordernden Marktbedingungen in den Bereichen Life Science und Halbleitermaterialien“ geprägt gewesen sei.

Gerade der abrupte Rückgang der Materialumsätze im Laborbereich (Life Science), die in den Corona-Jahren steil angestiegen waren, beschert diesem Segment nun eine große Delle, die im Unternehmen nun als bloßer Ausreißer abgehakt und nicht mehr für die Zukunftsprognose herangezogen wird. Das Pandemiegeschäft ist vorbei.

Dagegen zeige die starke Umsatz- und Ergebnisentwicklung von Healthcare „die Vorteile des diversifizierten Geschäftsmodells von Merck“, was die Aktionäre insofern freuen dürfte, als die Dividende mit 2,20 Euro je Aktie stabil bleiben soll. Belén Garijo, Vorsitzende der Geschäftsleitung und CEO von Merck, will das Übergangsjahr schnell vergessen und abhaken. „Wir konzentrieren uns jetzt voll darauf, im Geschäftsjahr 2024 schrittweise auf den Wachstumspfad zurückzukehren und gleichzeitig unseren strategischen Fahrplan zu definieren, um ein langfristiges, profitables und nachhaltiges Wachstum für Merck sicherzustellen“, sagte sie zu den Geschäftszahlen und dem Ausblick.

Dennoch trägt der Bereich Life Science mit einem Jahresumsatz von 9,2 Mrd. Euro fast die Hälfte zum Geschäftsergebnis bei, weist aber wegen des Einbruchs des COVID-19-Geschäfts um 800 Mio. Euro insgesamt ein Minus von über 10% auf. Ohne Berücksichtigung der Pandemieumsätze beträgt der Rückgang nur -2%, was auch durch Wechselkursschwankungen zu erklären ist. Der Teilbereich Science & Lab Solutions, der im Geschäftsjahr 2023 rund die Hälfte des Umsatzes von Life Science erwirtschaftete, verzeichnete dagegen einen organischen Umsatzrückgang von nur 0,6%, was unter den genannten schwierigen Branchenbedingungen als stabil bezeichnet werden kann. Die Sparte bietet Produkte und Dienstleistungen zur Unterstützung von Forschung, Diagnostik und Testverfahren an.

Das zweite große Standbein von Merck ist das Gesundheitsgeschäft, und hier konnten die Umsätze des Unternehmensbereichs Healthcare deutlich zulegen: Sie stiegen um 8,5 % auf rund 8 Mrd. Euro. Wesentlicher Wachstumstreiber war das Onkologie-Präparat Bavencio, das um 23,4 % zulegte. Die Umsätze mit Mavenclad zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose stiegen um 15,9%. Damit hat Mavenclad erstmals seit der Markteinführung die Umsatzmarke von umgerechnet 1 Milliarde US-Dollar pro Jahr überschritten und Blockbuster-Status erreicht. Beim Wirkstoff Evobrutinib, ebenfalls gegen schubförmige MS, hatten dagegen die Studienergebnisse nicht überzeugt und dieser Hoffnungsträger muss von der Liste genommen werden.

Die eigentliche Überraschung bei den Wirkstoffen ist ein alter Bekannter: Das Krebsmedikament Erbitux ist mit einem Umsatz von 1.025 Mio. Euro nach wie vor ein Blockbuster – und das im zweiten Jahr in Folge mit sogar steigenden Umsätzen. Das ist erstaunlich, denn die Patente des 2004 (damals relativ zeitgleich in den USA und Europa) zugelassenen Antikörpers gegen EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) sind längst abgelaufen. In Europa bereits 2014, in den USA 2016. Lediglich in China und eventuell im Iran gibt es eine dort zugelassene Nachahmerversion, ansonsten haben die üblichen Verdächtigen der Biosimilar-Branche noch keine Kopie auf den Markt gebracht. Dies mag daran liegen, dass das knappe Überschreiten der Blockbuster-Milliarde für den globalen Wettbewerb der Biosimilar-Entwickler, die gerne auf höhere Umsatzziele schielen, nicht attraktiv genug erscheint. In einigen wissenschaftlichen Artikeln wurde aber auch darauf hingewiesen, dass es gar nicht so einfach ist, den chimären Antikörper aus Ig1-Immunglobulin-Anteilen der Maus und den Bindungsmotiven der Antikörper-Anlegestelle aus dem Menschen „biosimilar“, also identisch und wirkungsgleich, nachzubauen.

Auf dieser für das Unternehmen erfreulichen Verlängerung der Vermarktungsmöglichkeit eines Originalwirkstoffs weit über den Patentablauf hinaus will sich Merck aber nicht ausruhen. Gleichzeitig wolle man „nicht jede Mode mitmachen“, wie Garijo erklärte und dabei auf die Welle neuer Diätmittel anspielte. Die verstärkte Kooperationsbereitschaft etwa im Bereich des Ubiquitin-Abbauwegs (Degrader), die neben der bereits bestehenden Zusammenarbeit mit der Wiener Proxygen jüngst in eine Partnerschaft mit C4 Therapeutics mündete, deutet aber auch darauf hin, dass Merck nicht nur auf die eigene Forschung und Pipeline vertraut, sondern sich mit externer Innovationskraft breiter aufstellen will. Hier sind auch einige Partnerschaften mit chinesischen Biotech-Firmen in den letzten Monaten publik geworden.

Minuszeichen will Merck jedenfalls nicht mehr produzieren, vielmehr erwarten die Darmstädter für das Geschäftsjahr 2024 ein leichtes bis moderates organisches Umsatzwachstum, wobei Healthcare der Haupttreiber sein soll.

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