
Auch Boehringer verstärkt den ADC-Schwerpunkt
Im Umfeld großer Finanzierungsrunden für europäische ADC-Firmen geht fast unter, dass sich Boehringer Ingelheim seit Jahren in diesem Sektor strategisch durch Partnerschaften und Zukäufe verstärkt. Mitte Oktober meldeten die Ingelheimer neuerlich eine Technologiekooperation. Diesmal wurde der Partner, AimedBio, in Südkorea gefunden, das mögliche Finanzvolumen reicht knapp an eine Milliarde US-Dollar heran, rund 840 Mio. Euro.
Die Boehringer Ingelheim AG & Co. KG baut ihre Aktivitäten im Bereich der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Antibody-Drug Conjugates, ADCs) weiter aus. Das Unternehmen schloss eine globale Forschungs- und Lizenzvereinbarung mit dem südkoreanischen Biotech-Unternehmen AimedBio, das auf die Entwicklung antikörperbasierter Therapeutika spezialisiert ist. Ziel der Kooperation ist die gemeinsame Entwicklung eines neuartigen ADC-Kandidaten, der voraussichtlich im kommenden Jahr in erste klinische Studien eintreten soll.
Der neue Wirkstoff richtet sich gegen einen tumorspezifischen Marker, der in einer Vielzahl von Krebserkrankungen mit hohem medizinischem Bedarf exprimiert wird. Laut Boehringer handelt es sich potentiell um einen „Best-in-Class“-Kandidaten, der durch seine gezielte Wirkweise neue Behandlungsoptionen eröffnen könnte.
„ADCs sind ein kraftvoller therapeutischer Ansatz, der biologische Präzision mit chemischer Wirksamkeit verbindet“, sagte Vittoria Zinzalla, Global Head of Experimental Medicine bei Boehringer Ingelheim. „Die gezielte Ansprache dieses Tumormarkers mit dem ADC von AimedBio kann die Präzisionsmedizin bei schwer behandelbaren Krebsarten erweitern und Patienten einen echten klinischen Nutzen bringen.“
Das ADC von AimedBio kombiniert die Zielgenauigkeit monoklonaler Antikörper mit der zytotoxischen Wirkung eines Exatecan-Derivats. Es richtet sich gegen ein Protein, das in vielen Tumoren stark, in gesundem Gewebe hingegen kaum exprimiert ist, und eine wesentliche Rolle bei Tumorwachstum, Metastasierung und Therapieresistenz spielt. Durch diese selektive Angriffsstelle soll eine hohe Wirksamkeit bei gleichzeitig geringeren Nebenwirkungen erreicht werden. Genaueres wurde nicht mitgeteilt.
Langfristige ADC-Strategie von Boehringer
Die Vereinbarung mit AimedBio fügt sich in Boehringer Ingelheims umfassende Strategie ein, ein führendes ADC-Portfolio aufzubauen. Neben der Akquisition der Schweizer NBE-Therapeutics im Jahr 2020 für über eine Milliarde Euro hat das Unternehmen zuletzt mit Synaffix und dessen neuer Muttergesellschaft Lonza sowie Tegmine Therapeutics zwei Plattformpartnerschaften geschlossen, die auf innovative Linker- und Payload-Technologien setzen. Damit verfolgt Boehringer das Ziel, die Entwicklung der nächsten Generation von ADCs voranzutreiben – mit Fokus auf Präzision, Wirksamkeit und verbesserter Verträglichkeit.
„Diese Partnerschaft unterstreicht unser Engagement, das Potential von ADCs voll auszuschöpfen und die Krebstherapie grundlegend zu verändern“, so Zinzalla weiter. Gemäß den Vertragsbedingungen erhält AimedBio bis zu 991 Mio. US-Dollar an Gesamtzahlungen, darunter eine Vorauszahlung, Meilensteinzahlungen für Entwicklung, Zulassung und Vermarktung sowie umsatzabhängige Lizenzgebühren.
ADC-Feld im Fokus von Investoren und Pharma
Mit immer mehr Zulassungen im Bereich der ADCs haben die toxin-verstärkten Antikörper eine neue Welle des Interesses ausgelöst. Eigentlich waren die allerersten zugelassenen ADC-Antikörper eine Enttäuschung. Das bereits zur Jahrtausendwende zugelassene Myelotarg musste später sogar wieder zurückgezogen werden, weil die Nebenwirkungen zu stark waren und die unspezifische Abgabe des Zellgiftes an gesundes Gewebe zu große Risiken mit sich brachte. Erst durch Verbesserungen an der Technologie der Verknüpfung von Toxin (Payload) und Antikörper durch die kovalente Bindung oder durch zwischengeschaltete spezielle Linker hat sich diese ungewünschte Neben-Toxizität wieder einfangen lassen, eine neue Generation von ADCs stürmte die Zulassungscharts.
Neben dem guten Dutzend zugelassener ADCs werden über 40 in abschließenden Studien der Phase III erprobt; mehr als 80 weitere in kleineren Studien der Phase II. Beim Verband der forschenden Arzeimittelhersteller, vfa, gibt es dazu eine Aufstellung vom September. Doch die Dynamik ist global hoch, der Wettbewerb groß.
Aktuell etwa dominiert die Münchner Firma Tubulis die Schlagzeilen mit einer der weltweit höchsten Finanzierungsrunden, die über 300 Mio. Euro für die weitere Entwicklung der eigenen Pipelineprojekte bereitstellt. Tubulis ist eine der Firmen, die über eine spezielle Linker-Technologieplattform verfügen, die geringe Nebenwirkung, aber hohe spezifische Wirkung in der Tumorzelle versprechen. Hier sind bereits sehr viele Venture-Kapitalfirmen investiert, was die Preise für eine Beteiligung eines Pharmapartners in schwindelerregende Höhen treibt. Boehringer musste mit seiner Suche wohl auch deshalb bis nach Südkorea ausweichen.