
Licht und Schatten bei deutscher Biotechnologie
Luft nach oben im europäischen Vergleich meldet die deutsche Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY für den deutschen Biotech-Sektor im vergangenen Jahr: Während die Zahl der Neugründungen sowie Investitionen deutlich stiegen und die klinische Pipeline reifte, sanken Umsatz, Beschäftigtenzahlen und die Zahl der Exits.
Ein Zwischenhoch für die deutsche Pharma-Biotechnologie meldet der EY Biotechnology Report 2025 – zumindest in Sachen Investitionen. Im Vergleich zum Vorjahr sammelten die um einen Rekordwert von 39 Neugründungen auf 823 angewachsenen Unternehmen plus Niederlassungen von Unternehmen aus dem Ausland im Vergleich zum Vorjahr (1,1 Mrd. Euro) 78 % mehr Kapital (1,9 Mrd. Euro) bei Investoren ein. Rechnet man die Investitionen in Unternehmen, die während der Pandemie Impfstoffe entwickelten, heraus, stellt dieser Wert einen Rekordwert dar. Die Venture-Capital-Investitionen zogen von 533 Mio. Euro im Jahr 2023 auf 898 Mio. Euro in 2024 an. Zwar bedeutet dies eine Verdopplung des Anteils der Biotech-Investitionen am deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 0,02 %. Im europäischen Vergleich besteht aber gleichwohl noch gewaltiger Aufholbedarf, denn in Großbritannien liegt dieser bei 0,05 %, in Dänemark bei 0,07 % und in der Schweiz bei 0,08 %, ganz zu schweigen von den USA, wo mit 16,7 Mrd. Euro viermal mehr VC-Geld als in Europa (5,7 Mrd. Euro) investiert wurde.
Allerdings endete das Finanzierungshoch des Jahres 2024 jäh im 1. Quartal 2025 – ein Ausdruck der Verunsicherung angesichts der von der neuen Regierung begonnenen Umgestaltung der Wissenschaftsförderung, Preisgestaltung und des Protektionismus im Biotech-Leitmarkt USA? Insgesamt nahmen deutsche Biotech-Unternehmen nur 130 Mio. Euro an Finanzierungen auf – ein Minus von 78 % verglichen mit dem ersten Quartal 2024 (591 Mio. Euro).
Im Jahr 2024 sanken auch der Umsatz von zuvor 12,7 Mrd. Euro auf 11 Mrd. Euro (–8 %) und die Beschäftigung nach einem Plus von 10 % im Jahr 2023 um 5 % auf 56.093 Jobs. Im Jahr stieg die Zahl der klinischen Studien gegenüber dem Vorjahr (169) in 2024 zwar nur wenig an (174), reifte aber mit insgesamt 10 Programmen mehr in Phase II (98) und III (21). Allerdings sei die Zeit, die es vom Antrag einer Studie bis zu deren Beginn brauche, in Deutschland doppelt so hoch wie in Großbritannien oder den USA. Hier müssen bürokratische Hürden abgebaut werden, um Deutschland als Studienstandort wieder attraktiver zu machen. Mit der Einführung sogenannter Standardvertragsklauseln dürften sich zumindest die in Deutschland besonders langwierigen Verhandlungen von Kliniken mit den Studiensponsoren deutlich verkürzen. Der Zeitverlust wirkt sich EY zufolge auf die Attraktivität der hochinnovativen deutschen Start-ups für Investoren aus, da wichtige Entwicklungszeit verlorengehe, wenn Studien in Deutschland durchgeführt würden. Das ist besonders deshalb bedeutend, weil die Folgefinanzierungen deutscher Arzneimittelentwickler nur zu 12,5 % von deutschen Investoren, aber zu 87,5 % von ausländischen Investoren erfolgten, da es – anders als in Dänemark, Großbritannien oder der Schweiz – kein gut funktionierendes Finanzökosystem für Unternehmen in der Wachstumsphase gebe.
„Nach einem ausgesprochen guten Jahr 2024 haben es deutsche Biotech-Unternehmen aktuell schwer, an frisches Geld zu kommen. Investoren zeigen sich angesichts der derzeit schwer berechenbaren Entwicklungen in Bezug auf weltweite Wirtschaftsströme zurückhaltend, die allgemeine Unsicherheit droht zu einem massiven Einbruch bei der Biotech-Finanzierung zu führen“, sagte Klaus Ort, Partner bei EY und Leiter des Marktsegments Life Sciences & Gesundheitswesen in Berlin. Zwei große Transaktionen trugen zu einem deutlichen Anstieg des gesamten erhaltenen M&A-Werts auf 3,8 Milliarden Euro bei. Trotz dieses hohen Wertes bleibt die M&A-Aktivität der Branche mit nur zehn abgeschlossenen Transaktionen im Jahr 2024 (22 im Jahr 2023) insgesamt relativ gering. „Dieser Rückgang der Transaktionszahlen unterstreicht die Herausforderungen, vor denen Unternehmen stehen, wenn es darum geht, M&A-Exits in Deutschland zu erreichen“, so Ort.
Trotz zahlreicher Herausforderungen blickt Ort optimistisch in die Zukunft: „Die Aussichten für den klinischen Fortschritt im deutschen Biotech-Sektor sind grundsätzlich positiv, da der Fokus zunehmend auf personalisierte Medizin und innovative therapeutische Modalitäten gelegt wird, die darauf abzielen, medizinische Bedürfnisse zu decken. Dennoch steht der Sektor vor zahlreichen wirtschaftlichen, technologischen und geopolitischen Herausforderungen. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) sowie die verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern bieten wertvolle Möglichkeiten, diese Herausforderungen besser zu bewältigen.“