Esmée Dragt (von Biorender.com)

Auch Genscheren sind nicht perfekt

Durch einen Inhibitor der DNA-Reparatur kann die Genomeditierung mit CRISPR/Cas einen effektiveren Weg beschreiten – allerdings mit unerwünschte Auswirkungen, die oft übersehen werden.

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Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Zwar wird der Hemmstoff für den DNA-abhängigen Proteinkinase-Komplex (DNA-PKcs) namens AZD7648 häufig für die Genomeditierung mit der Genschere CRISPR/Cas9 eingesetzt. Das Molekül inhibiert die Reparatur von Doppelstrangbrüchen und wird deshalb in präklinischen Studien für die Behandlung von Krebs mit Strahlen- oder Chemotherapie getestet. Als Werkzeug für die Genomeditierung könnte der Inhibitor allerdings doch nicht so vorteilhaft sein, wie zunächst vermutet. Der Einsatz führt häufig zu großflächigen genetischen Veränderungen, wie eine Ende November erschienene Studie belegt.

Der CRISPR/Cas9-Molekülkomplex zerschneidet den DNA-Doppelstrang an der Stelle, an der das Erbgut verändert werden soll. Dieser Doppelstrangbruch kann entweder durch einen schnellen und ungenauen oder einen exakten Reparaturmechanismus behoben werden. Der Vorteil von AZD7648 ist, dass der Inhibitor den DNA-PKcs-abhängigen fehleranfälligen Weg (NHEJ, non-homologous end joining) blockiert. Auf diese Weise wird die homologiegerichtete Reparatur (HDR, homology-directed repair) bevorzugt, die eine kopierfähige Vorlage benötigt. Der Ansatz ist zwar langsamer, aber sehr flexibel und geeignet, um verschiedene Krankheitsursachen zu beseitigen.

„Im Grunde genommen kann man damit beliebige Krankheiten heilen“, sagt Hauptautor Jacob Corn. Der Professor für Genombiologie an der ETH Zürich ist auch Mitglied der 2015 von Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna mitinitiierten Innovative-Genomics-Initiative und versucht, die Genomeditierung zu optimieren.

Für viele Studien wurde das Werkzeug erstaunlich erfolgreich und präzise eingesetzt, dennoch kamen Corn Zweifel daran: „Das machte uns misstrauisch und wir haben deshalb genauer hingeschaut.“ Als sein Team an der ETH daraufhin die Sequenzen nicht nur um die bearbeitete Stelle, sondern auch in der weiteren Umgebung genauer analysierte, kam das ganze Ausmaß der unerwünschten Veränderungen durch AZD7648 zum Vorschein.

In einem Großteil der untersuchten Zelltypen wurden bis zu Megabasen lange Abschnitte in fernen Teilen des Genoms deletiert, teilweise brachen ganze Chromosomenarme weg. Von solch einer Destabilisierung des Erbguts war das Forschungsteam überrascht. Da die Wissenschaftler nur Teilbereiche untersuchten, konnten sie nicht alle Schäden vollständig überblicken. Neue Testverfahren, Vorgehensweisen und Regulierungen sind in ihren Augen deshalb besonders wichtig, um die Sicherheit der Genomeditierung zu gewährleisten.

Das Team um Corn ist das erste, das solche tiefgreifenden Veränderungen im Genom in ihrer Studie in Nature Biotechnology beschrieben hat. Für ihn bedeutet das jedoch erst den Beginn weiterer Optimierungen: „Die Entwicklung jeder neuen Technologie ist ein steiniger Weg. Ein Stolperer bedeutet nicht, dass wir die Technik aufgeben.“ Er könne sich vorstellen, stattdessen einen Cocktail von Substanzen einzusetzen, um die Nebenwirkungen zu umgehen. „Es gibt viele mögliche Kandidaten. Wir müssen jetzt herausfinden, aus welchen Komponenten so ein Cocktail zusammengesetzt sein muss, damit das Genom keinen Schaden nimmt.“

Mittlerweile stehen zahlreiche Techniken für die Genomeditierung zur Verfügung, die ohne Doppelstrangbrüche arbeiten – wie Base oder Prime Editing, das PASTE- oder das CAST-System. Allerdings wurden auch bei diesen Weiterentwicklungen unerwünschte genomische Veränderungen beschrieben. Angesichts aktueller Erfolge von Gentherapien bleibt Corn dennoch optimistisch, dass sich die Technik durchsetzt. Die Frage ist nur, auf welchem Weg sie möglichst sicher anwendbar sein wird.

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